Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 220
Text
Von Paul Wilhelm.
Die Wiener Künstlergenossenschaft hat den Maler Felix zu
ihrem Vorstand gewählt. Man fragt sich, ob die Wahl glücklich
war. Ich glaube nicht. Herr Felix ist einmal ein tüchtiger Maler ge-
wesen, ein grosser Künstler war er nie. Man wird das nicht leugnen.
Aber es wäre gemüthlos, wollte man den liebenswürdigen alten Herrn
darum verdammen, weil er nicht mehr in unsere Zeit hereinpasst.
Aber das erste Kunstinstitut des Reiches braucht Kräfte, die ein
neues Werden, ein künstlerisches Wachsen gewährleisten. Ein jahre-
langes, verdienstvolles Wirken mit Pinsel und Palette hatte wohl An-
spruch auf persönliche Anerkennung, aber nicht auf eine Führerrolle,
die, soll sie den innersten Kern ihres Zweckes erfüllen, mehr sein
müsste als eine mit den berühmten »Erfahrungen des Alters« gesättigte
administrative Leitung.
Es ist sprechend für unsere Kunstverhältnisse, dieses Hangen am
Alten, dieses zähe Festhalten ererbter Institutionen, diese gedankenlose
Anhänglichkeit an die ergrauten Repräsentanten der Wiener Kunst,
die in ihrem engbegrenzten Milieu die Wellen alles Neuen, Werdenden
an sich vorüberwogen lassen in sicherer Geborgenheit, ohne revolu-
tionäre Emotionen, ohne Stürme und Gefahren. Das ist echt wienerischer
Localpatriotismus, echt österreichische Gleichgiltigkeit für das Kosmo-
politische in Kunst und Leben. Und das gerade ist es, was uns mangelt
und uns überall langsam in den Hintergrund drängt.
Kein junger, kräftiger Stamm ist in das alte Gebäude gefügt
worden, das morsch ist, morsch zum Zusammenbrechen. Aber der un-
verwüstliche Wiener Humor in seiner ganzen ehrlichen Verlogenheit
hilft über alle Bedenken hinweg. Die Künstler, die stets über die
tristen Kunstverhältnisse jammern, trösten sich in »anregenden« Unter-
haltungsabenden, arrangiren Herrenabende, Damenabende, Gschnasfeste
und Kränzchen. Alles aus begreiflicher Verzweiflung über den Nieder-
gang unserer Kunst. Dabei geht es denn auch lustig her. Die Künstler
sind stolz auf ihre sonnigen Naturen, und man kann die Freude über
einen gelungenen Bierwitz in manchem Auge häufiger sehen als das
stille, heimliche Leuchten über eine vollbrachte That. Und Thaten sind
es eben, die uns mangeln.
Der gute Wille wird für sie genommen. Die Wiener haben von
jeher viel geschwätzt und wenig vollbracht. Und Vollbringungen sind
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 220, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-06_n0220.html)