Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 256
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sich auf gute Namen stützen, aber sie vergessen, dass das,
was ehedem Verfeinerung hiess, unter verknüpfteren Um-
ständen der Aussenwelt vulgär geworden ist, was einst selbst-
ständiges Erlebniss Einzelner war, heute zum Gebrauch Aller
verpöbelt, des persönlichen Duftes entkleidet ist.
Sehe ich von denen ab, welche racelos keiner inten-
siven Erregbarkeit fähig oder allen oberflächlichen Reizen
ohne Wahlinstinct zugänglich sind, von jenen Keinseitigen
oder Allseitigen, so sind drei Style unterscheidbar, unter
denen einheitliche Entwicklungen vorkamen: der classische,
der romantische und jener moderne Styl, für den wir noch
keinen Namen haben, dessen Grenzen noch sehr fliessend
sind, zu dessen Erklärung auch diese Worte beitragen wollen.
Das classische Empfinden der Landschaft hat Preller in
künstlerischen Symbolen zum Ausdruck gebracht: jene kupfer-
braunen Höhen, wie man sie in der Sonne glühend an August-
nachmittagen am Jonischen Meer sehen kann, jene unüber-
sehbare blaue Fläche, die mehr Staunen vor dem Unend-
lichen als Sehnsucht erweckt, jene reifen, männlichen Linien
brauner, verwaister Gefilde, welche Namen wie Selinunt und
Guteoli ins Gedächtniss rufen, jenes durchsichtige Azur der
Luft, die durch keinen zärtlichen Nebel die starren Tempel-
reste verschleiert. Man denkt an den Schlegel’schen Aus-
druck der gefrorenen Musik, es liegt etwas Architektonisches,
zum Mindesten Stationäres über diesen Landschaften: edle
Einfalt und stille Grösse, die halkyonische Heiterkeit einer
gereiften Männerseele, die den Tasso oder die Iphigenie
schafft.
Die Romantik sucht das Toben der Wasserfälle, das
Geheul der Stürme, den kalten Schauer finsterer Abgründe.
Mehr als das halkyonische Blau liegt ihr der schwefelgelbe
Gewitterhimmel am Herzen, wie man ihn von verlassenen
Alpenhütten beobachten kann, das im Sturm grollende
Meer, welches vor den gährenden Kräften des Erdschosses
erbeben lässt, die gezackten, vernichtenden Formen der
Hochgebirge, an denen grosse Nebelklumpen hangen, nicht
mild verschleiernd, sondern gebieterisch verdeckend. Es ist
die Leidenschaft, nicht mehr die Ruhe, welche sie sucht,
die Leidenschaft des wild stürmenden Jünglings, die Goethe
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 256, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0256.html)