Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 262
Text
Verheiratung, des Eingehens eines sinnlichen Verhältnisses bezogen. Man
hat keine Ahnung, wie dieses Charivari — unser Wort Charivari, Uhr-
gehänge, welches die französische Sprache nicht kennt, ist offenbar aus
dem klirrenden Geräusch der metallenen Anhängsel hergenommen,
denn Charivari bedeutet ursprünglich Lärm — man hat keine Ahnung,
wie dieses sittenverhöhnende Charivari entstanden ist, auf welcher
Basis es sich ausbildete, welches Motiv eigentlich in ihm steckte; man
weiss nur aus den strengen kirchlichen Verordnungen dagegen, dass
es vom XIV. bis XVII. Jahrhundert bestand. Es war eine ganz feste
Einrichtung. »Les attentions de votre belle-soeur pour son jardinier
sont publiques dans le village; et on leur prépare le régal d’un petit
charivari « heisst es noch in einem Lustspiel von Dancourt am
Ende des vorigen Jahrhunderts. Wer sich fürchtete, konnte sich los-
kaufen »en donnant quelque-chose à la canaille«. Phillips, der eine
hübsche Abhandlung darüber geschrieben, sagt: »Ueberall tritt als
wesentlicher Charakter des Spiels die Obscönität hervor.« Auch in
England kannte man und kennt man noch die rough music, die
Katzenmusik, mit Kesseln, Bratpfannen, Schüreisen u. dgl., dort be-
sonders angewandt gegen Eheleute, die sich schlecht vertragen, oder
wenn ein sehr alter Mann ein sehr junges Mädchen heiratete oder ein
Neger eine Weisse zur Frau nahm. Im vorletzten Fall wird die Katzen-
musik auch in Italien aufgeführt und heisst dort scampanata. Auch in
Lübeck finden wir eine Verordnung aus dem XV. Jahrhundert,
welche das Verspotten und Lärmen vor den Thüren Sichwiederver-
heiratender verbietet: »de Wedewen by der Brutnacht nicht tho höhnen,
nach en Grael (Grölen) mede Schalmeyen vor de Döre tho make, by
Pene des Rades.« — Aber hier in der Schweiz bestand noch vor circa
30 Jahren die vollständige Sitte des Charivari; der Redacteur der
»Züricher Post«, Reinhold Ruegg, erzählt mir, dass er als Knabe einen
Aufzug mitgemacht habe, ohne damals zu wissen, um was es sich
handle, wobei ein Haufen Männer und Weiber am Vorabende des
Hochzeitstages unter Absingen garstiger Lieder vor das Haus der Braut
gezogen sei und ihr in höhnischer und unfläthiger Weise ihren neuen
Stand unter Aufdeckung der geheimsten Beziehungen vorgehalten habe;
auch auf ihr angebliches oder wirkliches Vorleben bezügliche Dinge
und Vorkommnisse wurden hier in brutalster Weise kundgegeben. Dabei
war der ganze Platz vor dem Haus und alle angrenzenden Strassen
zum Ausdruck der Verachtung mit Sägespänen bestreut. Spreu, Säge-
späne, Kleie, Häckerling galten als Abfallstoffe seit urdenklichen Zeiten
als Ausdruck der Verächtlichmachung. »In Frankfurt» — erzählt Sepp
— »diente das Häckselstreuen im XVII. Jahrhundert zur Verhöhnung
bei der Hochzeit.« Am Niederrhein wurde der bräutlichen Witwe
Häcksel gestreut, wenn sie ihren ersten Mann nicht ordentlich be-
handelt hatte. In Kissingen und Umgebung wurde bis vor Kurzem
anrüchigen Mädchen Häckerling vor dieThüre gestreut, und zwar am Samstag,
damit es am Sonntag die Leute alle sehen. Wie sehr es aber in
solchen Fällen rein auf die Verächtlichmachung des erotischen, des
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 262, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0262.html)