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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 265

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HABERFELDTREIBEN. 265

wie schon der Charakter dieser Thiere ergibt, immer sind es Anzüg-
lichkeiten und Verspottungen im Hinblick auf das sexuelle Leben der
Menschen, um die es sich hier handelt. — Dies ist nun jenes inter-
nationale heidnisch-christliche Element, welches bei allen Völkern des
Abendlandes, wo sich nur immer bei Ceremonien Anlass gibt, wieder-
kehrt, welches im Charivari, in der rough musik, in der Scampanata,
im »Märzrufen« sich findet, und welches in einigen bayerischen
Gegenden eine so rüde Form angenommen hat. — Und dies ist anderer-
seits sittengeschichtlich der Ausgangspunkt für die »Haberfeldtreiben«.
Das Wort deutet noch auf die Haberernte und die Schnittergebräuche.
Aber diese wurden immer mehr verlassen, und die rügenden Reim-
paare mit erotisch-beschimpfendem Inhalt, wie sie in der Strohschleuder
eingewickelt waren, blieben im Vordergrund des Interesses.

Gehen wir nun, nach weiterer Aufklärung suchend, von den
Haberfeldsitten, von dem Treiben und Thun bei der Halmernte noch
weiter zurück, ins Heidenthum selbst, dann treffen wir, wenn auch nur
durch spärliche Züge angedeutet und in wenigen Quellen fassbar, auf
einen Götterdienst, auf einen Gottesdienst auf dem Felde, auf einen
Opferdienst für die Götter und Göttinnen der Fruchtbarkeit, des Ernte-
segens, der Fortpflanzung unter Menschen und Thier, der Erweckung
der Liebesgefühle bei den Menschen, der aufsteigenden Frühlingssonne
mit ihren keimenden Saaten und dem sprossenden Grün, auf eine Natur-
verehrung, auf einen Ernte- und Dankgottesdienst auf dem Felde voll
der feierlichsten Formen. Hier treffen wir auf Wotan, den Allvater,
für dessen Schimmel die letzten Haberhalme stehen bleiben, weshalb
der letzte Sensenschlag eine so symbolische Bedeutung gewinnt; auf
Donar, den Regen- und Gewittergott, der die Felder befruchtet, auf
Freyr, den Liebesgott, largiens voluptatem hominibus, der die Wol-
lust gewährt. Alles bekommt jetzt einen ganz anderen, vornehmeren,
seriöseren Charakter. Das Zeugungsprincip, als das elementarste Wollen
im Menschen wie in der Natur, wird abgöttisch verehrt, aber in rein
naiver Schätzung, mit der Lust eines Naturkindes. Alle die stark
sexuellen Thiere, der Bock, die Sau (der Eber), der Hahn, die oben
eine so hässliche, anzügliche Rolle spielen, wir finden sie hier als die
Vertreter der heiligsten Götter. Böcke ziehen den Donnerwagen des
Gewittergottes; ihre Hörner werden vergoldet. Der goldborstige Eber
ist das Sinnbild Freyr’s, und bei Hochzeiten wird, weit entfernt von
anzüglichen Schmähungen, Freyr’s, des Gottes der Fruchtbarkeit, ge-
dacht und sein Segen unter wärmster symbolischer Darstellung und
Verehrung seiner Naturkraft erfleht. Diese Thiere wurden auf dem Felde
den Göttern als Opfer dargebracht, das Blut auf der Ackererde aus-
gegossen, das Fleisch von den Feiernden als Festbraten gegessen. Und
wie man für den Gott von der Halmfrucht stehen liess, so goss man
auch von dem Getränk, welches man für die Festlichkeit gebraut hatte,
für die Götter als Libation auf den Boden. Diese »Bockopfer« konnte
Sepp noch im Jahre 1854 als Osterfeierlichkeit in der Jachenau,
einem Seitenthal des Isarwinkels, nachweisen. Die Hörner des Thieres

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 265, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0265.html)