Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 266
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wurden vergoldet, und das Getränke, welches man zu dem Festbraten
verarbeitete, hiess — Bock (daher der Name für eine heute noch so
genannte Biergattung.1) Ueberall finden wir im alten Heidenthum eine
heiter-naive Verehrung des Zeugungs- und Fruchtbarkeitsprincips, eine
stille Bewunderung der geheimnissvollen Macht, die spriessen und
sprossen lässt, eine lautere, reine Auffassung, wie man sie heute noch
beim Bauern beobachten kann, weit entfernt von Spott oder höhnischen
Nebengedanken. So wenig hätte das Heidenthum einen Spott über die
sich in Liebe zugethanen Menschen verstanden, dass im Gegentheil
diejenigen Mägde, »quae innuptae ad eum diem mansissent,« die
unverheiratet geblieben waren, auf einen bestimmten Tag von den
Buben des Ortes auf einen Pflug gesetzt und als Strafe zur Schau ge-
führt wurden, eine Sitte, von der noch Hans Sachs erzählt und die
sich auch auf der alten Leipziger Fastnacht erhalten hatte.2) Und be-
kannt ist das sagenhafte, auf Rädern gezogene Schiff der altdeutschen
Göttin der Fruchtbarkeit, welches noch im Jahre 1133 von Aachen
nach Mastricht gezogen wurde, dort mit Mastbaum und Segel ge-
schmückt »im ganzen Land herumzog, überall unter grossem Zulauf
und Geleite des Volkes; wo es anhielt, war Freudengeschrei, Jubelsang
und Tanz um das Schiff herum«. Wir haben die von hässlichen Zuthaten
und Entstellungen nicht freie Beschreibung des Aufzuges nur aus der
Feder eines christlich-fanatischen Mönchs. Er sagt, beim ersten Tönen
der auf dem Wagen erklingenden Geigen und Zimbeln, welches das
Herannahen des Schiffes der Göttin verkündigte, seien die Mädchen
halbnackt und mit aufgelösten Haaren aus den Betten herbeigesprungen
und hätten sich bis in die sinkende Nacht mit den Buben und den
Reisenden auf dem Schiff erlustigt. Jede Ortschaft habe es als eine
Ehrenpflicht angesehen, das Schiff der Göttin, welches in ihnen die
heiligsten Erinnerungen an die ehemaligen Umzüge der Felder- und
Erntegottheiten weckte, so festlich wie möglich zu empfangen und
nach gemessenem Aufenthalt durch den Bezirk zu geleiten. Der christ-
liche Geschichtsschreiber kommt fast ausser sich vor Entrüstung: »Pape!
Quis vidit unquam tantam in rationalibus animalibus brutalitatem? Quis
tantam in renatis in Christo gentilitatem?« Er bezeichnet es als einen
teuflischen Aufzug, »diaboli ludibrium«, einen Spuk böser Geister,
»malignorum spirituum simulacrum«, und nennt es direct »Schiff der
Venus«.3) Mit so naiver Freude hing noch im XII. Jahrhundert das
Volk an seiner alten, reinen und freien Naturauffassung.
Was ist nun inzwischen erfolgt? Der Einzug des Christenthums,
die Verdammung aller reinen Freude am Natürlichen und die Stig-
matisirung der sinnlichen Lust als sündigen Geschehens. Die alten
Götter müssen den Himmel räumen und finden nur als trübselige,
geknechtete Gestalten im »wilden Heer« unter Anführung des Teufels
1) Sepp J., Die Religion der alten Deutschen. München 1890. S. 141.
2) Grimm J., Deutsche Mythologie. IV. Aufl. Berlin 1875. S. 213—219.
3) Grimm J., a. a. O. S. 214 ff.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 266, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0266.html)