Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 270

Die Somnambulen als Lehrer (Prel, Dr. Carl du)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 270

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270 DU PREL.

Für den Somnambulen ist es die reine Thorheit, den animalischen
Magnetismus zu leugnen, und auch die Streitigkeiten innerhalb der
magnetischen Schulen vermag er zur Entscheidung zu bringen. Mesmer
hat Alles aus dem magnetischen Fluidum erklärt, Andere haben im
Willen des Magnetiseurs das wirkende Princip gesehen. Der Somnam-
bule würde sagen, dass beide Factoren zusammenwirken: der Wille des
Magnetiseurs wirkt nicht direct, sondern als Hebel, der das magnetische
Fluidum zur Ausströmung bringt und leitet, wohin er will. Dies ist
sogar die wörtliche Aussage einer ungebildeten Somnambulen.1)

Die Somnambulen sind orientirt über die Verwendungsart der im
Magnetiseur liegenden Kraft. Sie wissen es, weil sie es fühlen, wie man
zu magnetisiren hat, und wie speciell sie zu magnetisiren sind. Jussien,
einer der Commissäre, welche Mesmer’s System zu prüfen hatten, der
aber den oberflächlichen Rapport dieser Commission zu unterschreiben
sich weigerte, sah bei der gemeinschaftlichen Behandlung der Kranken
am Mesmer’schen Baquet einen jungen Mann, der häufig in Somnam-
bulismus verfiel, dann stillschweigend im Saale auf und ab ging, und
die Kranken berührte, die dann häufig ebenfalls somnambul wurden,
und deren Krisen er dann, ohne Concurrenz zu dulden, zu Ende führte.
Wenn er erwachte, erinnerte er sich nicht mehr an das Geschehene
und wusste nicht mehr, wie man magnetisirt.2) Die Somnambulen be-
stimmen die Zeit, wann sie magnetisirt werden sollen, wie oft es zu
geschehen hat, die Anzahl und Richtung der Striche, und wechseln in
allen diesen Bestimmungen je nach dem Fall, während selbst der beste
Berufsmagnetiseur nur allgemeine Regeln hat und erst aus der Er-
fahrung die individuelle Behandlungsweise kennen lernt. Für die Som-
nambulen gibt es in dieser Hinsicht weder Scrupel noch Zweifel. Eine
Somnambule, gefragt, ob sie magnetisiren könne, bejahte, und auf die
weitere Frage, woher sie diese Kenntniss habe, entgegnete sie: von
mir selbst. Aufgefordert, ihre Mutter zu magnetisiren, that sie es in
einer dem Magnetiseur selber unbekannten Weise und zeigte ihm, wie
er sein Verfahren verbessern könne.3) Olivier beschreibt, wie ein zehn-
jähriges Mädchen, das an Ankilosis litt und auf Krücken ging, im
Somnambulismus sich selbst magnetisirte, massirte und in der zweck-
mässigsten Weise behandelte. Ein Kranker, der jahrelang eine Moorcur-
behandlung von den unheilvollsten Folgen durchgemacht hatte, wurde
schliesslich magnetisirt. Im Somnambulismus nun wühlte er mit den
Händen in seinen Haaren und seinem Bart, wie um eine Moorcurausdünstung
herbeizuführen, und es geschah mit Erfolg, so dass das ganze Zimmer
von dem Geruch erfüllt war. Eine andere weibliche Kranke verfuhr
von selbst ganz in der gleichen Weise.4) Dieses Beispiel ist sehr lehr-
reich: das Wühlen in den Haaren konnte offenbar nur eine odische
Verflüchtigung herbeiführen, und diese Kranken drückten also durch ihr


1) Mittheilungen aus dem Schlafleben der Somnambule Auguste R., 256.
2) Jussien: Rapport de l’un des commissaires. 10. 3) Annales du magnétisme animal,
VII., 161—163. 4) Olivier: Traité de magnétisme, 490, 497.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 270, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0270.html)