Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 271
Text
instinctives Verhalten aus, dass es bei schädlichen Substanzen auf die
odischen, nicht chemischen Qualitäten ankommt, was logischerweise
auch auf die wohlthätig wirkenden Substanzen, also auf die ganze
Medicamentenlehre ausgedehnt werden muss. Die Pharmakochemie muss
also durch eine Pharmakodynamik abgelöst werden, von der wir aber
noch nicht einmal die Anfänge besitzen.
Im vergangenen Jahrhundert wurde Puységur von einem somnam-
bulen Knaben über verschiedene Methoden des Magnetisirens belehrt,
die ihm fremd waren, und dass es schädlich sei, den Magnetiseur zu
wechseln. Ganz in Uebereinstimmung mit Mesmer gab dieser Knabe
an, dass die stärkste magnetische Kraft im Daumen liege, sodann im
kleinen Finger, eine noch schwächere im Zeige- und Ringfinger, und
dass der Mittelfinger indifferent sei.1) Von einem somnambulen Bauern
erfuhr es Puységur zuerst, dass es nicht immer nöthig sei, die Kranken
zu berühren, und dass man auch durch den Blick und den Willen
magnetisiren könne.2) Er nennt diesen Bauer den bornirtesten der ganzen
Gegend; wenn er aber im Somnambulismus sei, erhalte er von ihm die
klügsten, tiefsten und hellsehendsten Aufschlüsse.3) Als er ihn einmal
befragte, wie er bei geschlossenen Augen seine inneren Organe sehen
und die Natur seines Leidens beurtheilen könne, verlangte dieser Bauer,
die ganze Nacht hindurch im Somnambulismus gelassen zu werden;
das würde ihm gut thun, und wenn man ihm Papier und Tinte gäbe,
würde er die Fragen schriftlich beantworten. Puységur liess ihn ohne
Licht im Zimmer und schloss es ab. Die Abhandlung, welche der Bauer
niederschrieb, ist seitenlang und trotz einiger Dunkelheiten ganz inter-
essant zu lesen.4) Eine weibliche Somnambule ist es, die ihn über die
magnetische Anziehung des Magnetisirten durch den Magnetiseur be-
lehrte. Dr. Pichler sagt, dass seine Somnambule über den Magnetismus
und die dem Magnetiseur nöthigen Eigenschaften viel besser gesprochen
habe, als er selbst es hätte thun können.5) Eine andere gab eine so zu-
sammengesetzte magnetische Behandlungsweise für sich an, dass der
Magnetiseur Mühe hatte, sie zu verstehen und zu behalten.6)
Die magnetische Fernwirkung, die erst in neuerer Zeit wieder in
exacter Weise constatirt wurde, war im Anfang des Jahrhunderts schon
sehr wohl bekannt, und Somnambule sind es, welche die Anleitung
dazu gegeben haben. Eine solche gab ihrem Magnetiseur das Verfahren
an, wie sie aus der Ferne eingeschläfert werden könne. Ihre Vor-
schriften kamen ihm lächerlich vor, aber der Erfolg zeigte, dass sie
auf die angegebene Weise sogar schneller eingeschläfert werden konnte
als durch unmittelbare Berührung. Wenn er an diesem Verfahren das
Geringste vergass oder veränderte, blieb der Erfolg aus.7)
1) Puységur: Mémoires, 316—319. 2) Puységur: Recherches, 206. 3) Puy-
ségur: Mémoires, 26, 27. 4) Puységur: Du magnétisme animal, 194—199. 5) Ex-
posé des différentes cures opérées depuis 1785, 251. 6) Archiv für thierischen
Magnetismus. X., 1, 108. 7) Archiv X., 1, 124—127.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 271, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0271.html)