Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 272
Text
Die besten Magnetiseure sind die Somnambulen selbst; ihre mag-
netische Einwirkung ist viel intensiver als die des besten Magnetiseurs.1)
Der Unterschied ist so auffallend, dass er schon sehr früh bemerkt
wurde. Tardy sagt, dass seine Somnambule genau angab, wie sie magne-
tisirt werden sollte; als sie ihn einst selber magnetisirte, wurde sie
somnambul, und nun fuhr sie mit geschlossenen Augen fort, es viel
besser und wirksamer zu thun als vorher im Wachen. Sie ist es auch,
welche die richtige Erklärung dieses Phänomens gegeben hat: den
Monoideismus. Sie sagte nämlich, dass die Somnambulen ihre Gedanken
ausschliesslich darauf richten, Gutes zu thun, dass sie durch nichts
zerstreut und ganz auf den Patienten concentrirt sind.2) Deleuze spricht
es als einen allgemeinen Erfahrungssatz aus: »Jedermann weiss, dass
die guten Somnambulen den Sitz der Krankheit bei den Personen ent-
decken können, mit welchen sie in Rapport gesetzt worden, entweder
indem sie sympathisch in den correspondirenden Theilen des eigenen
Körpers die fremden Schmerzen mitempfinden oder indem sie mit den
Händen darüber fahren und vom Kopf bis zu den Füssen die Kranken
abfühlen. Jedermann weiss auch, dass sie ohne Unterschied besser
magnetisiren, als sie es im Wachen thun könnten, und dass sie dem
magnetischen Fluidum die beste Direction zu geben verstehen. Diese
Fähigkeit, den Sitz der Krankheit zu empfinden und zu wissen, welche
Direction dem Magnetismus gegeben werden soll, kommt nicht aus-
schliesslich den Somnambulen zu; sie entwickelt sich auch bei manchen
Magnetiseuren, wenn sie aufmerksam sind, von den verschiedenen
Empfindnngen, die sie fühlen, sich Rechenschaft zu geben.«3) Diese
Fähigkeit der Magnetiseure, beim Abfühlen der Kranken aus den
Empfindungen der eigenen Hand sich zu orientiren, ist zuerst von
Bruno entdeckt worden, dessen Werk De Lausanne herausgegeben hat.4)
Ein anderer sehr erfahrener Magnetiseur, Gauthier, sagte ebenfalls,
es sei allen Magnetiseuren bekannt, dass die Somnambulen viel stärker
einwirken als ein wachender Magnetiseur. Oft sei ihr Magnetismus
sogar zu stark, und sie weigern sich dann, ihn anzuwenden. Oft bringen
sie augenblicklich Schlaf hervor und die wohlthätigsten Krisen bei
Personen, die vorher von den besten Magnetiseuren vergeblich behandelt
wurden.5)
Häufig werden Somnambule erwähnt, die sich selbst in Schlaf zu
versetzen wissen. Ein Verfahren, das sie instinctiv anwenden, ist noch
heute bei den Derwischen in Gebrauch: die drehende Bewegung haupt-
sächlich des Kopfes. In dieser Hinsicht ist aus der christlichen Mystik
die Christina mirabilis zu erwähnen. Ihr Körper wurde wie im Kreisel
herumgetrieben, so dass die Form ihrer Glieder nicht mehr zu unter-
scheiden war.6) Von einer anderen Autosomnambulen heisst es, dass
1) Hermes, II.. 369. — 2) T. d. M. (Tardy de Montravel): Journal du
traitement de Mme. B., 3, 4, 13, 40. — 3) Deleuze: Instruction pratique, 329. —
4) De Lausanne: Principes et procédés du magn. an. — 5) Gauthier: Traité pratique
de magnétisme, 596. — 6) Görres: Die christliche Mystik, II., 405.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 272, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0272.html)