Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 282
Text
»Der schien nicht genau von der Bestellung unterrichtet zu sein
oder sich nicht zu getrauen —«
Die Brauen Thorwalt’s wulsteten sich.
»Du sprichst unklar. Wann würde sich ein Vater vor seinem
Sohne etwas nicht zu thun getrauen? Du —«
»Ich wollte nur —«
«Lass mich ausreden. Du setzest den Alten herab. Der Vater ist
Herr und Meister seiner Familie. Deshalb ist ihm gestattet, sich einem
oder dem anderen Geschäfte zu entziehen, zu dem er vielleicht weder
Freude noch Nöthigung in sich fühlt. So wird es auch bei Lomblad
der Fall sein.«
»Ich wollte den Vater nicht als schwach hinstellen, eher vielleicht
der Handlungsweise des Sohnes tadelnd erwähnen.«
»Das wäre nicht klug gethan. Die Voraussetzung, dass der Vater
ein Schwächling sei, müsste trotzdem vorhanden sein. Und die wäre
ein Unrecht. Bin ich nicht dein unumschränkter Herr, so wie du der
deiner Kinder bist?«
»Vater, darf ich dir noch etwas Bier einschänken?« fragte Ulf’s Frau
leise. Ihre Hände zitterten, wie sie vor ihn hintretend den Krug aufhob.
»Nein, ich danke dir.«
Unsicheren Schrittes ging sie auf ihren Platz zurück. Das Gesinde
unten am Tische sass regungslos da und wagte nicht die Wimpern zu
erheben.
Der Alte liess seine Blicke langsam über die Anwesenden gleiten,
Blicke, aus denen der Glaube an die Macht der eigenen Autorität
sprach. »Gott, dann ich!« war es in dem uralten Eichengiebel des
Hauses eingeritzt zu lesen. Und der Mann mit der niederen, harten
Stirne und dem halbversteckten Feuer im Blicke war der Sohn dieses
Alten, dem er Alles verdankte, der ihm das Weib in die Kammer
geführt hatte und seinen Kindern Gottes rauchenden Zorn im Ge-
witter zeigte.
Eine schwüle Pause war eingetreten. Keiner wagte zu sprechen.
Selbst die Kleinen senkten die Köpfe, denn sie kannten die Strenge
des Mannes oben am Tische. Da ist’s, als ob eine Lerche herein-
schwirrte und plötzlich zu jubiliren begänne.
»Vater, weshalb steht der leere Stuhl neben deinem Platze? Wer
sass dort? Wann kehrt er wieder?«
Ein Schrecken fasst die Andern. Die kecke Voreiligkeit! Die junge
Dirne, die neben den Kindern sitzt, hat den Mund geöffnet. Die braunen
Augen unter den feinen dunklen Bogen blitzen vor Lebenslust. Um den
rosigen Mund spielt ein Schalklächeln.
Der Alte blickt sie an, wie er etwa ein Insect oder eine Blume
angesehen hätte, die der Wind auf seinen Rockärmel geweht hat. Wird
er erzürnen über ihre Weise? Nein, er ergrimmt nicht. Er lehnt sich
zurück und richtet die mächtigen Augen auf sie.
»Hier ist der Brauch, erst zu reden, wenn man gefragt wird,
verstehst du? Aber du bist erst einen Tag hier und kennst unsere
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 282, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0282.html)