Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 296

Félicien Rops (Peladan, Sar Josephin)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 296

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296 PELADAN.

erdenmenschlichem Zagen Christus vor. Ob das auch lästerlich schien,
die Behandlung war gleichwohl jene, aus der heraus man den zu-
künftigen Aquarellisten der »Sataniques« schon ahnte. Die Brillen der
Jury, sie wackelten davor.

Abgesehen von einer Sammlung, die sich im Besitze des Herrn
Noilly befand, hat Mars, der geistvolle Zeichner, die schönste Collection
Rops’scher Werke. Sie enthält ungefähr 2000 Kupferstiche, für welche
die Stadt Antwerpen 30.000 Francs bot und die eines Tages 100 000
werth sein werden. Als Rops zu radiren begann, war die Lithographie
dem stets wachsenden Misscredit noch nicht anheimgefallen, und der
Künstler radirte seine heftigsten, oft feindseligen Compositionen auf
Stein: le Fer rouge, la Médaille de Waterloo. Doch sagte diese Richtung
seinem nervösen, schneidigen Stifte weniger zu, und es begann die
Reihe seiner Frontispicien. Vor Allem das Titelbild für die »Epaves«
von Baudelaire, der während seines Aufenthaltes in Belgien Félicien
Rops’ Gast und steter Freund und Bewunderer wurde. »Unter dem
Baum der Verderbniss«, dessen Stamm ein menschliches Skelett dar-
stellt, erblühen die sieben Todsünden, durch Blumen von symbolisirender
Form und Haltung dargestellt. »Fleurs du Mal « Die um das
Becken geschmiegte Schlange ringelt sich gegen die Blumen des Bösen
vor, in welchen das gespenstige Knochengerüst des Pegasus sich wälzt,
der mit seinen Reitern erst im Thale Josaphat zu neuem Leben er-
wachen darf. Ein Zaubergeschöpf entführt auf seinem Rücken des
Dichters Bild in den Aether, umringt von Engeln und Cherubinen, die
das Gloria in excelsis anstimmen. Im Vordergrunde zeigt eine Camée
einen Strauss, der ein Hufeisen verschlingt, mit der Devise: Virtus
Durissima coquit, Tugend weiss selbst mit dem Unverdaulichsten sich
zu nähren. Die Aufschrift allein zeigt die symbolisirende Kraft und die
bilderreiche Vorstellung des Künstlers.

Die meistgenannte Serie Rops’scher Radirungen ist die der »Delvau«:
Cafés et cabarets de Paris, Grand et petit trottoir. Davon das Wunder-
stück sind die achtzehn Dessins der »Cythères parisiennes«. Nie ward
die Welt der Feilschenden, das niedrige Laster, so trefflich und wahr-
haft gezeigt als in diesen achtzehn Croquis, welche die crapule parisienne
vom bal Montesquieu zum Salon de Mars und vom vieux Chêne zur
Salle Markowski lebendig werden lässt. Es ist das, was man »Croquis
der Sitten« nennen möchte, und was Rops an die Seite Gavarni’s
und Daumier’s stellt.

Die ganze belgische Literatur hat kein wirklich grosses Buch pro-
ducirt; aber einer von den durch Baudelaire so sehr verhöhnten
»Wallonen«, Charles de Coster, hat während des XIX. Jahrhunderts
ein Epos im ganzen Sinne des Wortes geschaffen: »Tiel Ulenspiegel«,
der Held von Flandern. Félicien Rops, ein Freund des de Coster,
fertigte hiezu eine Serie von Stichen an, von denen in der grossen
Brüsseler Ausgabe kaum die Hälfte Platz finden konnte. Der hervor-
ragendste dieser Stiche, welchen auch Rembrandt signirt haben würde,
führt die Aufschrift »Le Pendu« und zeigt einen Mann, der an dem

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 296, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0296.html)