Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 298

Félicien Rops (Peladan, Sar Josephin)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 298

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298 PELADAN.

wunderbaren Keuschheit, aber zu viele schöne Schleier verwischen das
Hässliche des Bösen. Barbey d’Aurevilly vergisst nie, dass er, der
Casuist, Seelsorgelasten hat; doch flammen seine Schriften, so dass
die Hitzausstrahlung dieses Gluthofens, in dem er die Metalle der Seele,
das gemeine Blei und das reine Gold zum Schmelzen bringt, einen
Schwindel verursacht. Der Stichel Félicien Rops’ ist stark von Sexualität
bewegt, doch frei von Heuchelei und möglichen Missverständnissen.
Eines seiner Unterscheidungsmerkmale ist die Freimüthigkeit; sein Stichel
begeht keine Heuchelei oder vorsätzliche Uebergehung; er gibt das
Laster wieder, kühn, offen, wagemuthig. Eine Eigenschaft möge Rops
in dem Geiste des Lesers nicht einbüssen durch dieses Lob: Er ist
zartsinnig. Nicht wie Gustave Moreau. aber doch. Zum Beweise sei hier
das Bild erwähnt: »Adieux d’Auteuil«. Das offene Gitterthor lässt ein
untadelhaftes Gespann sehen, das, von einem äusserst correcten Kutscher
gehalten, jene der beiden eleganten Damen erwartet, welche sich im Strassen-
kleide von ihrer Freundin, die ein Gartencostüm trägt, warm verabschiedet.
Sie umarmen, küssen sich. Was ist natürlicher? Dieses Bild war von einem
Brüsseler Kunstjournal als Prämie beigegeben worden; in den »Fleurs
du Mal« jedoch wurde es aus demselben Grunde von der Censur unter-
drückt, aus welchem Sehende vor diesem Werke lächelten. Der Künstler,
der der Allgemeinheit unsichtbar zu machen versteht, was für Ein-
geweihte auffallend bleibt, ist ein subtiler Meister! Im Lächeln, in jenem
Doppellächeln von Mund und Augen, scheint der Zauber des Frauen-
antlitzes zu liegen. Jene Meister, die ein Lächeln gefunden, wie Leonardo
da Vinci und Correggio, die zählt man. Rops hat ein Lächeln gefunden,
das schwer definirbar ist und das ich nennen möchte: das Lächeln der
sorglosen Verderbtheit.

Je mehr Einfluss und Vermögen das Weib in einer Civilisation
besitzt, um so grösser ist die Decadenz.

Den Denker Félicien Rops überraschte die grenzenlose Behexung
des Mannes durch das Weib im Verfall der latinischen Rasse. So ent-
stand ein Meisterwerk: »Dames au pantin«. Es gibt deren mehrere, von
denen die erste Mars in der Originalzeichnung besitzt. Es ist eine
im Rücken gesehene Büste mit sich verlierendem Profil. Die schönen,
in ihrer Rundung kräftigen Schultern lassen die in Unthätigkeit ver-
borgene Kraft ahnen. Auf den Ellbogen gestützt, erheitert sie sich mit
einem Polichinelle; das ist schön, wird man sagen, aber platt. Schlank,
geschmeidig, von schönem Ansätze, gleicht sie in ihrer anschliessenden
Kleidung eher einer Schlange; im schmächtigen, bis zum Ellbogen von
schwarzen Handschuhen bedeckten Arm schüttelt sie über ihrem Kopfe
mit einem Lächeln unbeschreiblicher Verachtung nicht mehr das Spiel-
zeug des Kindes, sondern einen Herrn im Frack, das Spielzeug des
Weibes Dieses Werk würde genügen, um Rops unsterblich zu machen.
Rops, der Maler der Sünde, hat alle die höhnischen und die furchtbaren
Varianten des super bestiam femina vergegenwärtigt. Niemand hat, wie
er, das gekleidete Weib erfasst. Aus der Toilette desselben hat er ein
ausdrucksvolles Mittel von ungekannter Intensität geschaffen. In eine

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 298, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0298.html)