Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 310
Text
Von Dr. Carl du Prel (München).
(Fortsetzung.)
Als Medicinalrath Wetzler eine Somnambule fragen liess, ob eine
schlimme Rückwirkung von einem Kranken auf den Magnetiseur möglich
sei, liess sie ihm die ganz richtige Antwort zugehen, das sei möglich, wenn
der Magnetiseur schwächer sei als der Kranke.1) Die Somnambulen
finden auch instinctiv die Mittel, sich dem Magnetismus zu entziehen, wenn
er ihnen unbequem wird. Dies hat erst jüngst wieder Janet erfahren: Er
bat einst den Dr. Gibert, Frau B. aus der Entfernung einzuschläfern. Es
geschah 11½ Uhr Vormittags, eine Stunde, zu der sie nie magnetisirt
zu werden pflegte, und sie befand sich in ihrer Wohnung, 500 Meter
entfernt. Janet ging sodann in ihre Wohnung, fand sie aber völlig wach
und glaubte, das Experiment sei misslungen. Er schläferte sie sodann
wie gewöhnlich ein, und nun gestand sie ihm: »Ich weiss sehr wohl,
dass Dr. Gibert mich hypnotisiren wollte, aber ich merkte es und
tauchte meine Hand in kaltes Wasser, um den Schlaf zu verhindern.«2)
Wir dürfen wohl vermuthen, dass das Wasser hier als ein wegen seiner
grossen Odcapacität geeignetes Ableitungsmittel angewendet wurde;
denn in diesem Sinne wurde dieses Verfahren schon früher angewendet,
und in einem Briefe an Dr. Wienholt wird es als »einstimmige Meinung
vieler Somnambulen« angeführt, dass das sicherste Mittel, einen an-
steckenden Kranken ohne Gefahr für den Magnetiseur zu behandeln,
darin bestehe, sich nicht vor den Kranken, sondern seitwärts zu setzen,
und zu seinen Füssen ein Gefäss mit Wasser zu stellen, in welches
einige Conductoren von Glas, die seinen Körper berühren, münden3.)
Auch bei Du Potet geräth eine Somnambule auf dieses Ableitungs-
mittel. Bei ihr hatten sich einige Aerzte zu einer Berathung versammelt,
konnten sich aber so wenig verständigen, dass — wie der Bericht-
erstatter sagt — die Wissenschaft sich an diesem Tage kaum von der
Unwissenheit unterschied. Eine 14jährige Somnambule, die hierauf be-
fragt wurde, verlangte, dass die schlechten Säfte der Kranken, die an
einem Weichselzopf litt, durch magnetische Striche von der Brust gegen
den Kopf abgeleitet werden sollten. Als der Magnetiseur dieses Ver-
fahren als sehr bedenklich erklärte, gab sie ihm Recht, doch könnte
üblen Folgen vorgebeugt werden, wenn über den Kopf der Kranken
ein Glas Wasser gehalten würde; dann aber müsste das Wasser sogleich
1) Wetzler: Meine wunderbare Heilung durch eine Somnambule. 206. —
2) Revue scientifique. Mai 1886. — 3) Wienholt: Drei Abhandlungen über
Magnetismus. 109.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 310, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0310.html)