Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 312
Text
Aehnlichkeit habe und eins sei mit dem den Menschen belebenden, immate-
riellen Nervenäther. Dieser mache ihr alle Theile des Menschen sichtbar,
mit Ausnahme der kranken Theile, die ihr als dunkle Stellen erscheinen.1)
Diese Sätze könnten ebensogut bei Mesmer oder Reichenbach stehen.
Die theoretischen und praktischen Aufschlüsse der Somnambulen über
odische Verhältnisse beweisen, dass sie dabei in ihrem Elemente sind,
und nur weil die innerste Natur des Menschen selbst eine odische ist
und mit dem odischen Innern der Naturobjecte in Wechselwirkung
steht, wissen die Somnambulen Dinge, die dem in die Schranken der
Sinnlichkeit eingeschlossenen Menschen nicht zum Bewusstsein kommen.
Sie haben uns über die transscendentale Physik wie transscenden-
tale Psychologie Aufschlüsse gegeben, lange bevor diese Probleme
wissenschaftlich in Angriff genommen wurden.
Es ist eben nicht nur möglich, sondern unvermeidlich, dass die
mit einem sechsten Sinne begabten Individuen direct oder indirect zu
Einsichten geführt werden, welche die reflectirende Wissenschaft erst
auf grossen Umwegen oder durch zufällige Erfahrungen gewinnen kann.
Die Somnambulen beweisen es in tausenden von Aussprüchen, dass es
so ist in Bezug auf die äussere Natur, den inneren Menschen und das
Verhältniss beider. Sie bieten Beispiele aus jeder dieser Kategorien.
Beispielsweise machte die mit grossem psychologischen Verständniss
behandelte Somnambule des Dr. Klein eine ganze Reihe von Eröff-
nungen, die zu Entdeckungen im Gebiete der unbekannten Natur-
wissenschaft und Psychologie schon damals hätten führen können. Lange
bevor Professor Jäger die Humanisirung des Weines durch Nippen ent-
deckte, hat sie dieselbe praktisch ausführen lassen, und es kommt immer
wieder vor, dass der Magnetiseur von dem Wein, den er ihr gab,
vorher dreimal nippen musste.2) Ebenso hat sie, bevor Reichenbach
entdeckte, dass die Sensitiven die Berührung gleichnamiger Hände widrig
empfinden, die odische Polarität praktisch berücksichtigt, indem sie bei
Begrüssungen immer nur die linke Hand nahm.3) Sie belehrte ihren
Arzt darüber, dass er ihrem Lachkrampf durch Suggestion Einhalt thun
könne. Als er es nun einst mit den Worten thun wollte: »Ich will,
dass du nicht mehr lachst!« fuhr sie dennoch fort und sagte: »Ich habe
es dir anders angegeben!« Schnell sprach er nun: »Ich will durchaus,
dass du nicht mehr lachst!« und im Augenblicke war sie ruhig.4) Sie,
wie hundert andere Somnambulen, hat die individuelle Verschiedenheit
des menschlichen Od erkannt, die oft sogar im Gegensatze zu den
Sympathien des Wachens sich geltend macht. Als sie zu Verwandten
gebracht werden sollte, wusste sie voraus, dass ihr nur der Onkel,
aber nicht die Tante odisch sympathisch sein würde.5) Sie belehrte
ihren Arzt über den Einfluss psychischer Factoren im Somnambulismus
1) Archiv III., 3., 115. Meier und Klein: Höchst merkwürdige Geschichte
der hellsehenden Auguste Müller, 51. — 2) Archiv V., 1, 41, 61, 75, 77, 80, 100.
— 3) Archiv V., 1, 145, 166, 170. — 4) Archiv V., 1, 88, 92, 108. — 5) Archiv V.,
1, 107.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 312, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0312.html)