Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 313

Die Somnambulen als Lehrer (Prel, Dr. Carl du)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 313

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DIE SOMNAMBULEN ALS LEHRER. 313

und darüber, dass dem Erwecken die Suggestion des Wohlbefindens vor-
hergehen müsse. Als sie nämlich einst verlangte, mit den Worten ge-
weckt zu werden: »Im Namen des Höchsten, Lotte, will ich, dass du
gesund aus dem magnetischen Schlaf erwachst!« da kam das dem
Arzte überschwenglich vor, und er fragte, ob es nicht genüge, diese
Worte zu denken. Nach längerem Gespräche über diese überschweng-
liche Formel meinte sie, da ihm der feste Wille und Glaube doch
fehlten, wäre es besser, wenn er sich anderer Worte bediene. Nach
einigem Besinnen gab sie ihm dann die Formel: »Lotte, erwache ganz
gesund aus dem magnetischen Schlaf!«1) Auf Grund ihrer transcenden-
lalen Selbsterkenntniss erhebt sie sich sogar zu metaphysischen Ein-
sichten. Sie lehrt die unbewusste Eingliederung des Menschen im Geister-
reiche, ganz entsprechend den Ansichten von Kant und Plotin, mit den
Worten: »Wie wohl es mir jetzt ist, fühlt ihr erst, wenn ihr dort
seid. Ich bin nur zur Hälfte bei euch, die andere Hälfte ist recht gut
aufgehoben, sie ist dort oben im Himmel. Mein Geist ist dort oben,
ich bin nur flüchtig bei euch, und ich sollte noch mehr oben sein,
ganz vom Irdischen frei. Aber wahrscheinlich werde ich so, dann wird
es ein noch grösseres Entzücken sein. Auch wenn ich wache, ohne dass
ich es weiss, ist mein Geist oben — auf der Welt, wenn ich mit euch
rede.«2)

Aehnliche Aussprüche findet man bei allen guten Somnambulen.
Sie haben aber nie die richtige Beachtung gefunden, weil sie nicht in
der Form logischer Deductionen gegeben wurden, sondern in einer oft
recht kindlichen Sprache. Ein Somnambule würde es für die grösste
Thorheit erklären, wenn man ihm die Seele wegdemonstriren und das
Denken als blosses Ausscheidungsproduct des Gehirns erklären wollte.
Er weiss es, dass an seinem Bewusstsein, dem Seelenbewusstsein, die
Sinne und das Gehirn nicht mitbetheiligt sind und wie auf sein Seelen-
bewusstsein eingewirkt werden kann. Die Theorie des hypnotischen
und posthypnotischen Befehls ist schon längst von den Somnambulen
gelehrt worden. Ein Arzt hatte seiner Kranken Blutegel verordnet, sie
hatte aber grosse Abneigung davor und kam der Vorschrift nicht nach.
Im Somnambulismus gestand sie es, und da er ihr vorstellte, sie würde
nicht gesund werden, wenn sie seinen Vorschriften nicht nachkäme,
entgegnete sie: »Sie hätten mir den Befehl im Schlaf geben sollen,
und dann würde ich ihn befolgt haben.«3) Ich habe schon anderwärts
aus älteren Schriften den Beweis geliefert, dass die Theorie des post-
hypnotischen Befehls schon seit Anfang des Jahrhunderts von Somnam-
bulen gelehrt wurde;4) es lassen sich aber noch ältere Beispiele aus
dem vorigen Jahrhundert anführen. Der somnambule Bauer Viélet, von
Puységur durch magnetische Behandlung im Mai geheilt, sah voraus,
dass er im October wieder erkranken würde, und bat ihn daher, ihm


1) Archiv V., 1, 153. — 2) Archiv V., 1, 77, 78. — 3) Tarte: Le Propaga-
teur. 32. — 4) Du Prel: Studien auf dem Gebiete der Geheimwissenschaften.
I., 190, 193, 194.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 313, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0313.html)