Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 322
Text
er manchmal wunderlich war und anders als andere Kinder, das kam
vielleicht daher, dass der Vater ihn geschlagen hatte.
Der alte Lars Olsson, Per’s Vater, gehörte zu Jenen, von denen
das Gerücht geht, dass sie böse sind. Er hatte zeitlich geheiratet, und
als Per geboren wurde, da war es beinahe, als sei er rasend darüber,
dass der Sohn hinzukam. Dies geschieht zuweilen bei Männern, die
sehr jung heiraten; und möglicherweise beruht es darauf, dass ein
Kind, das heranwächst, immer eine Art Erinnerung für den Vater ist,
dass seine Zeit bald vorbei sein kann. Wie sich das nun verhalten
mochte, gewiss ist, dass Lars Olsson immer hart gegen Per gewesen
war und ihn beim mindesten Anlass schlug. Er schlug ihn auch
nicht so, wie ein Vater gewöhnlich sein Kind züchtigt; Leute, die es
gesehen, erzählten, dass Lars Olsson, wenn der Knabe gezüchtigt
werden sollte, in eine Art Raserei kam, die schaurig anzusehen war.
Er schlug das Kind mit dem Knüttel oder mit der geballten Faust,
und er kümmerte sich nicht darum, wohin die Schläge trafen. Nach
solchen Scenen ging der Junge mit grossen Beulen an Rücken und
Beinen fort, und es kam vor, dass er offene Wunden an Kopf und
Händen hatte.
Durch dies wurde Per weder hart noch böse, wie man vielleicht
hätte erwarten können. Nur verschüchtert wurde er. Er pflegte wegzu-
laufen und sich zu verstecken, wie er den Vater über den Hof kommen
sah; und wenn er ärger als gewöhnlich zu Schanden geschlagen worden
war, geschah es ein paarmale, dass der Knabe in den Wald lief und nicht vor
dem nächsten Tage wiedergefunden wurde. Die Mutter wagte auch nicht,
sich seiner anzunehmen. Sie war ein kleines, blasses Ding, das Allen
aus dem Wege ging; und wenn Lars Olsson Per schlug, pflegte sie das
Zimmer zu verlassen und in der Einsamkeit zu weinen. Aber sie wagte
nicht, sich dazwischen zu werfen. Einmal hatte sie es gethan, und da
hatte sie geglaubt, Lars Olsson würde den Jungen auf der Stelle todt-
schlagen. Aber sie liebkoste Per, wenn sie allein waren, und weinte
über ihn. Gleichviel woher es kam, aber nachdem Per geboren war,
bekamen die Eheleute viele Jahre hindurch keine Kinder. Per lebte
mit dem Vater nicht im Einvernehmen, und ihre Beziehungen wurden
mit den Jahren nicht besser. Grüblerisch, wie Per von Natur war oder
durch die Verhältnisse wurde — ob das Eine oder das Andere kann
Niemand entscheiden — gewöhnte er sich nach und nach an den Ge-
danken, dass Alles für ihn traurig sein musste. Es erschien ihm ganz
natürlich, dass er gepufft, zurückgesetzt, getreten und vernichtet wurde.
Er war so vertraut mit diesem Gedanken, dass Per, nachdem die Eltern
nach zwanzigjähriger Ehe einen zweiten Sohn bekamen, die Sache
beinahe ruhig nahm, als er entdeckte, dass dieser zweite Sohn ebenso
gehegt und geliebt wurde, als er selbst geschlagen und misshandelt
worden war. Auf jeden Fall fand er die Sache natürlich und ganz in
Ordnung.
Einsam, wie er mit sich selbst und seinen Grübeleien war, ging
Per und sah zu, wie Alles sich um ihn entwickelte, beinahe als wäre
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 322, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0322.html)