Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 323
Text
er selbst nicht davon berührt. Lars Olsson spielte mit dem jüngeren
Bruder und liebkoste ihn, wie es Per niemals widerfahren war. Als der
Knabe heranwuchs, ging er wohl mit aufs Feld, wie die Anderen auch.
Aber er war immer gleichsam ein wenig Herr, und Niemand schlug es
ihm ab, ihm die Pferde zu leihen, wenn er es wünschte, oder einen
freien Tag zu haben und an einem Samstag Abends zur Stadt zu
fahren, die Taschen voll Geld. War ein Erntefest, so kam Karl Johan
immer als Erster dran, sowohl daheim wie vor den Leuten; und galt
es die Arbeit auf dem Felde oder die Fuhren im Winter, so war es
stets Per, der Knecht sein musste, und immer duckte der Bruder
ihn unter. So ging es zu, dass Per — als er 40 Jahre alt war, aus
dem Elternhause wegzog. In seinem schwermüthigen, vielleicht nicht
immer ganz klardenkenden Hirn arbeitete sich der Gedanke durch,
dass es nicht lohnte, sich aufzulehnen. Karl Johan war schon trotz
seiner Jugend Herr auf dem Hofe. Er und der Vater hielten zusammen.
Hart und unregierlich waren sie Beide, rasch bereit, handgreiflich zu
werden, gierig nach dem Ihrigen und voll Tücke. Per wusste, dass sie
nichts sehnlicher wünschten, als ihn los zu werden, und da er es nicht
vermochte, anzukämpfen, unterdrückt, wie er es von Kindheit an war,
zog er es vor, sich bei Zeiten aus dem Staube zu machen. Darum ging
er zu einem Schmied in die Lehre, und eines schönen Tages zog er
in das viereckige Haus, das am Waldessaum liegt, da wo die Land-
strasse vorbeigeht.
Das heisst, so ganz gutwillig zog er nicht fort. Er verliess das
Haus, weil ihm von seiner Kindheit an Alle so viel Böses gethan
hatten, dass er nicht anders denken konnte, als dass eines Tages das
Aeusserste geschehen würde. Geschlagen und misshandelt war er als
Kind worden, unterdrückt und bei Seite geschoben als Mann. Sein
ganzes Leben drängte sich in ein vergebliches Warum zusammen, das
ihm stets entgegenrief und keine Antwort erhalten konnte. Er glaubte,
dass man ihn am liebsten tödten wollte, wenn sich Gelegenheit hiezu
fand, und er zog fort, um nicht durch seine Gegenwart dem Hasse
des Vaters und des Bruders Nahrung zu geben. Er wollte zeigen, dass
er zu schlau für sie war. Hi, hi, er würde sie prellen, das würde er.
War er einmal fort, dann, glaubte Per, würde er schon Ruhe haben.
Aber das war durchaus nicht der Fall. Im Gegentheil schien es
beinahe, als sei Per’s Angst und Unsicherheit grösser geworden, seit er
hinaus in die Einsamkeit gekommen war. Tagaus, tagein dachte er an
nichts Anderes als all das Böse, das die Menschen ihm sein ganzes
Leben hindurch zugefügt. Er dachte nicht länger an Vater und Bruder.
Er dachte an den Bruder allein, und immer mehr und mehr wuchs in
ihm der Gedanke, wie der Bruder ihm Alles gestohlen, das einstens
sein gewesen. Karl Johan würde den Hof erben. Karl Johan würde
reich sein, geachtet und geehrt, und Per würde bis an das Ende seiner
Tage in seiner Hütte sitzen, Hufeisen schmieden, Spaten machen und
kaum so viel haben wie ein armseliges Kartoffelland, in dem er seine
eigenen Kartoffel ernten konnte. Es vergingen Monate und es vergingen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 323, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0323.html)