Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 324

Ein Einsiedler (Geijerstam, Gustav af)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 324

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324 GAIJERSTAM.

Jahre, während der nichts von alledem sich veränderte. Per’s Bart er-
graute, und seine Haut wurde immer blässer und grauer. Und indessen
wurde sein Vater alt und sein jüngerer Bruder ging daheim auf des Vaters
Hof umher und schaltete und waltete, als wäre Alles schon sein Eigen.

Per wurde immer verschüchterter. Schliesslich fürchtete er nicht
allein mehr den Bruder, er war vor allen Menschen scheu. Sprach
er mit Jemandem, konnte er plötzlich mitten im Satze abbrechen, einen
misstrauischen Blick auf den werfen, mit dem er redete, und dann ver-
stummen, als hätte er etwas Gefährliches sagen wollen und den Muth
dazu verloren. Kam Jemand ihn aufzusuchen, dann geschah es wohl,
dass der Besucher die Thüre von aussen mit einem Hängeschloss ver-
sperrt fand, und wenn er sich umwendete und den Steg hinabging,
dann zeigte sich Per’s grosses, bärtiges Gesicht, das ihn durch die
Fensterscheibe betrachtete. Oft, wenn das Geräusch von Wagenrädern
auf dem Wege hörbar wurde, ging Per über die Wiese fort, kletterte
über den Zaun und verbarg sich im Walde, bis der Wagen vorüber-
gerollt war. Die Leute sagten, er sei wunderlich, aber wie er wunder-
lich geworden, das hatten die Meisten vergessen. Denn Per war jetzt
50 Jahre alt, und sein Vater lebte noch.

Da geschah es eines Sommertages, dass Per entdeckte, dass seine
Kartoffeln umgegraben werden sollten, und dass er Steine einfahren
musste, um ein paar Löcher zu füllen, die durch das Alter in dem
Pflaster seines Häuschens entstanden waren. Er stand und starrte auf
diese Löcher im Pflaster, und es kam ihm zum Bewusstsein, dass er
nicht einmal ein Pferd hatte, um ein paar Steine vom Walde einzu-
fahren. Auf dem Hofe gab es Pferde genug, und Karl Johan be-
nützte sie.

Wie Per den Muth fand, eine solche Handlung auszuführen, lässt
sich nicht leicht sagen. Aber eines Tages ging er heim zum Bruder
und bat ihn, ihm die Pferde zu leihen. Ein höhnisches Lachen war die
Erwiderung, doch er versuchte, an sich zu halten, und bat den Bruder
noch einmal. Es gab eine lange Unterredung zwischen den Beiden,
die damit schloss, dass Per unverrichteter Dinge abziehen musste.

Aber jetzt brach das Allerseltsamste von Allem ein. Es war bei-
nahe, als wollte Per in einer einzigen Handlung all die Oppositionen
erschöpfen, die die Kränkung auf dem Grunde seines verschüchterten
Sinns erzeugt, und eines Nachts stahl er die Pferde des Bruders, um
sein eigenes Feld umzuackern und seine Steine einzufahren. Der Bruder
entdeckte das kühne Beginnen und gelobte Per alles Unheil der Welt,
wenn er seine That wiederholte. Aber als ein paar Nächte vergangen
waren, konnte Per sich nicht länger halten. Wieder fing er die Pferde
des Bruders im Hag ein, und wieder fuhr er sie müde und schweissig,
bis der Tag heranbrach.

So lange die Nacht währte, fühlte sich Per kühn und munter,
er brüstete sich sogar mit seiner That, ja er war stark im Gefühle
seines Rechts. Denn waren es nicht ebenso gut seine Pferde wie die
des Bruders?

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 324, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0324.html)