Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 325
Text
Aber als der Tag kam, da sank ihm wieder der Muth, und er
begann nachzugrübeln über das, was er gethan; er fühlte sich mit
einemmale so jämmerlich und klein, und er wusste aufs Neue, so sicher
als er es nur je in den langen Jahren gewusst, die vergangen, dass
er — Per — nichts zu hoffen, nichts zu erwarten hatte. Ihm half
Niemand; ihn hassten Alle. Wohin er ging, summte es in seinen Ohren
wie ein wunderliches Lied, dass er mit seines Bruders Pferden ge-
fahren und sich unglücklich gemacht hatte. Er hatte sich unglücklich
gemacht, unglücklich, unglücklich. Keine Macht auf Erden konnte ihm
mehr helfen.
Es war eine lange Geschichte, wie er in dieses Unglück gerathen
war, und wie es eigentlich so weit hatte kommen können. Per konnte
sich darin nicht zurechtfinden; am Morgen, als er fortging, war er
nur noch eingeschüchterter als gewöhnlich, und in dem dunklen Ge-
fühl, dass ihm etwas geschehen könnte, befestigte er das Hängeschloss
an der Thüre. Er selbst ging auf die Wiese hinab, wo er begonnen
hatte, Steine zu spalten. Den Eisenspaten hielt er in der Hand, und
mitten in der Arbeit hielt er oft inne, über die wunderlichen Dinge
nachgrübelnd, die sein Hirn erfüllten.
Da hörte er in der Entfernung laute Rufe, und er erkannte Karl
Johans Stimme unter den Lärmenden. Er hörte, wie sie seinen Namen
schrien, und durch die klare Morgenluft drangen Flüche und Drohungen.
Darauf hörte er Getöse, als wollte Jemand mit Gewalt in sein Haus
dringen. Dann durchschnitt eine schrille Weiberstimme den Lärm. Es
war die der alten Frau, die seinen Haushalt versah. Sie verstummte
wieder, und der lauschende Mann vernahm jetzt ein anderes Unwesen,
das er sich im Anfange nicht erklären konnte. Es waren Laute wie
von grossen Steinen, die gegen einander schlugen und sich zer-
schmetterten. Scharrende, reissende, krachende Laute waren es. Und
plötzlich entsann er sich des Ziegelhaufens, der vor der Holzkammer
lag. Die Männer warfen mit Ziegelsteinen. Per glaubte fast, sie zu
sehen, und das dunkle Entsetzen, das sich über seinem Leben ange-
häuft, schien sich in diesem wilden Heulen zu verkörpern, das ihn an
Leib und Leben bedrohte.
Die ganze Zeit stand Per stille und horchte. Sein Entsetzen war
so gross, dass er um keinen Preis gewagt hätte, seinen Widersachern
entgegen zu gehen. Er stand nur stille, indess die Schweisstropfen auf
seiner Stirne hervordrangen, und angstvoll, wie ein gescheuchtes Thier,
war er bereit, umzukehren und sich hinein in den Wald zu schleichen.
Da hörte er plötzlich, wie die Stimmen sich einen Augenblick
senkten. Es klang, als berathschlagten sie über etwas, als sei ihre Ra-
serei für ein paar Minuten gestillt, und dann hörte er deutlich Schritte,
die herankamen. Es lag ein Hügel zwischen seinem Häuschen und der
Stelle, wo er stand, so dass er anfangs nichts sehen konnte. Aber nach
einer Weile schien der Kopf des Bruders den Hügel heraufzukommen.
Noch ein Haupt wurde sichtbar, und da kam Karl Johan auf seinen
Bruder losgegangen, von dem Knecht des Hofs gefolgt, einem ehe-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 325, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0325.html)