Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 326

Ein Einsiedler (Geijerstam, Gustav af)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 326

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326 GAIJERSTAM.

maligen Gardisten, der wegen Raufsucht und Säuferei verabschiedet
worden war, einem harten, bösen und gefährlichen Mann, den Per
mehr fürchtete als alle Anderen.

Wie an die Erde gefesselt stand Per stille. Den Eisenspaten hielt
er in der Hand, und instinctiv erhob er ihn zur Höhe seines eigenen
Kopfes. Er hätte um Hilfe rufen mögen, allein er wagte es nicht. Er
wollte fliehen, aber konnte nicht. Er stand nur stille und sah, wie
der Bruder mit langen, eifrigen Schritten immer näher kam, und alles
Blut in seinem Körper erstarrte vor Angst. Nun war die Stunde ge-
kommen, da die, welche ihm Alles geraubt, auch sein Leben nehmen
würden, und wenn Per es in diesem Augenblicke gewagt oder gekonnt
hätte, würde er sich niedergeworfen und in Verzweiflung geweint
haben. Aber er wagte nicht einmal dies. Er stand bloss stille, den
Spaten über seinen Kopf erhoben, und schrie:

»Komm’ nicht her! Komm’ nicht!«

»Ich will dich lehren, nicht herkommen, du Pferdedieb,« ant-
wortete Karl Johan.

»Komm’ nicht her!« sagte Per. »Es gibt ein Unglück.«

Karl Johan stiess einen langen Fluch aus und sprang über den
Graben, der sie trennte. Mit geballter Hand ging er auf den Bruder
los, und wahnsinnig vor Schrecken, liess Per den schweren Spaten
auf den Kommenden fallen.

Er hatte nicht berechnet, dass der Spaten so schwer war, auch
nicht, dass der Schlag mitten auf den Scheitel treffen würde. Er stand
ganz still und sah wie im Traum den Bruder zur Seite taumeln, ein
paar wankende Schritte thun, zusammenfallen wie ein betäubtes Schlacht-
thier und schwer zu Boden sinken.

Mit dem Spaten in der Hand stand Per und starrte auf den
Bruder, der unbeweglich auf der Erde lag. Der Hut war hinabgefallen,
und es floss Blut aus seinem Munde.

»Steh’ auf, Karl Johan, liege nicht so da,« stöhnte der Unglück-
liche. Aber jetzt war der Knecht herangekommen und beugte sich über
den Liegenden. Er sprach nur ein einziges Wort, und im nächsten
Moment lag Per auf den Knien. Seine Stimme war winselnd wie die
eines Kindes, wenn es etwas Böses gethan hat, und seine Hände
gefaltet.

»Mein Bruder!« rief er. »Mein Bruder! Ich habe ihn erschlagen.«
Laut weinend sank er neben dem Todten nieder, und wie von seinem
Schicksal zu Boden gedrückt, lag der Verüber dieses seltsamen Bruder-
mordes still schluchzend neben der Leiche auf den Knien, bis fremde
Hände ihn ergriffen und fortführten.

So trug sich dieses Ereigniss draussen auf dem Lande zu, und
nun sollte die Gerechtigkeit Hand an den gefährlichen Mörder legen,
der in ausserordentlicher Verhandlung vor den Richterstuhl geführt
wurde, von all den Augen gefolgt, die, vor seinem Verbrechen zurück-
schreckend, die Bestrafung des Mörders verlangten.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 326, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0326.html)