Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 331

Marianne heiratet (Kobor, Thomas)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 331

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MARIANNE HEIRATET. 331

noch rechtzeitig ein selbstständiges Geschäft eröffnet hat und dadurch
imstande war, mir zuvorzukommen. Ich wäre sonst gegenwärtig der
unglücklichste Gatte auf der ganzen Erdkugel.

So aber?! Gott sei Dank das Unglück genirt mich nicht.
Zweimal im Tage stecke ich frische Blumen in mein Knopfloch, und
ich würde mich sehr wohl fühlen, wenn es nicht Sommer wäre. Aber
diese Hitze quält mich zu Tode. Erschlafft, träge schleppe ich mich
durch die in Gluth schwimmenden Strassen, mit ausgetrocknetem,
verbranntem Gehirn wälze ich mich in der Fluth des abendlichen bunten
Corsolebens. Und ich schaue die Donau, die in der Ferne verdämmernde
Insel! Die Wunderinsel, wie die Zeitungen sie nennen und wie ich sie
im vorigen Jahre in trunkener Liebe ebenfalls genannt habe. Heuer
war ich nicht dort. Verflucht sei diese Insel mit ihren fabelhaften,
zauberreichen Sträuchern, mit ihren stillen, einladenden Spaziergängen,
mit ihrem sinnberauschenden Duft, mit ihren Blumenbeeten und mit
ihrer lügnerischen Perspective!

Und wenn, Marianne, ein wahrer Zug in Ihnen leben würde aus
dem Bilde, das ich mit der Begeisterung meiner Seele angebetet, würde
ich auch Sie verfluchen. So aber mögen Sie meinetwegen glücklich
werden auf Ihrer unendlich gewöhnlichen Laufbahn hinter dem Pulte
eines Schnittwaarenhändlers. Was kümmern Sie mich, und was kümmert
Sie mein verbittertes Unglück? Niemals haben Sie in mir etwas Anderes
gesehen als den Mann, aus dem eventuell ein Gatte werden könnte.
Und Lüge war Ihr Erzittern, Ihr Erröthen, Lügen waren Ihre in mein
Herz fliessenden Thränen, als Sie mir eines Abends auf jener verdammten
Hexeninsel in die Arme fielen. O, damals haben Sie die Natur ihrer
Farben beraubt und mir einen Himmel vorgemalt, in welchem nur wir
zwei die Seligen sein sollten.

Dies Himmelreich haben Sie sich schon damals als gut einge-
richteten Haushalt vorgestellt, in welchem vom Handschuhknöpfler an
bis zu den Goldlustern Alles vorhanden sein sollte. Nun, Ihr Haushalt,
glaube ich, wird in Ordnung sein! Und während ich lange, schlaflose
Nächte hindurch rastlos gearbeitet habe, damit mein wundersamer, ge-
liebter Engel nicht den Namen eines untergeordneten Reporters trage,
sondern von den Strahlen der Huldigung und des Ruhms vergoldet
sei, haben Sie wahrscheinlich davon geträumt, ob der närrische Junge
sich wohl so viel fixen Gehalt verschaffen werde, als zur Führung
eines bürgerlichen Haushalts nöthig ist?

O mein Gott, wie kann nur in einem so winzigen Herzen so viel
Herzlosigkeit Platz finden? Einunddreiviertel Jahre hindurch haben Sie
mit mir seelenlos Komödie getrieben, haben Sie mir Liebe vorgelogen
und innige Hingebung. Einunddreiviertel Jahre hindurch haben Sie Ihr
ganzes Sein mit allem Liebreiz einer weiblichen Seele geschminkt, einund-
dreiviertel Jahre hindurch haben Sie sich meine glückliche, schmachtende,
heimliche Braut nennen lassen, und dann, dann kam er, der wohl-
beleibte Seladon, er öffnete vor Ihnen die Thüren seiner herrlichen Mode-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 331, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0331.html)