Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 334

Text

DUNKELSTUNDE.

Des Winterfrosttags letzter Sonnenschimmer
Umgoldet meinen Bücherschrank im Zimmer.
Wie eines Todten Lächeln — kalt und starr geworden.
Das Holz im Ofen knistert, flammt und knackt;
Und wie die Hängeuhr tickt leisen Takt,
Umrauscht es mich in rhythmischen Accorden.

Ich halte lauschend meine Dunkelstunde.
Secunde aber wandelt auf Secunde
Geheimnissvoll vorbei auf leichten Sohlen.
Und jede spricht ein stummes Wort zu mir,
Ausstreuend meiner liebsten Blumen Zier
Von Tuberosen oder Nachtviolen.

Mein Sehnen sinkt herab auf matten Schwingen.
Die Innenwelt schwimmt mit den Aussendingen
In einem grossen, trüben Weiterfluthen.
Kaum pocht der Puls Ein Schweigen athemlos
Die Nacht spannt ihre Arme riesengross
Und löscht der Sinne letzte, letzte Gluthen.

Wien. Victor Feldegg.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 334, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0334.html)