Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 332

Marianne heiratet (Kobor, Thomas)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 332

Text

332 KOBOR.

waarenhandlung in der Dorotheergasse und forderte Sie mit einer un-
nachahmlichen ellenlangen Handbewegung auf, hineinzuspazieren. Und
Sie ergriffen ohne Zögern die Elle und zerrissen ruhig das Band, das
meine verzehrende Liebe in ruhigen Nächten gewoben. Und Sie liessen
mich dies wissen, als ob Sie mir die natürlichste Sache von der Welt
mittheilen würden, mit herzlosem Cynismus sagten Sie mir, warum ich
denn nicht früher mit Mama gesprochen, Sie wären ja lieber zu mir
gegangen. Sie haben Recht, heute ist eine Elle besser als morgen eine
Rosenkette.

Mein Gott, ist es also wirklich eine so natürliche Sache, dass
das Mädchen den ersten Besten zum Manne nimmt, der sie begehrt?
Ist denn wirklich kein Unterschied zwischen einem Mädchen und einer
Sommertoilette in der Auslage Ihres geschätzten Gatten, dass Jeder sie
erhält, dem sie gefällt und der den Preis nicht zu theuer findet?
Verehrte Frau, Sie werden zurückkommen aus Venedig und an der
Seite Ihres Gatten auf der Strasse erscheinen. Haben Sie nicht so viel
erröthende Scham, um davor zurückzuschrecken, es öffentlicht zu zeigen,
dass Sie in den Armen dieses Menschen einzuschlafen pflegen? Ein
Mensch, von dem kaum sein Hund zu denken vermöchte, dass in ihm
ein achtunggebietender männlicher Zug wohnt, und der Sie ebenso ge-
kauft hat wie die dicke Uhrkette, die den werthvollsten Theil seines
Ich bildet!

Marianne, Sie dürfen bis in Ihr spätestes Alter stolz sein auf
den Sieg, den Sie über mich errungen haben. Sie können mit vollem
Recht sagen, dass es nur an Ihnen gelegen ist, dass Sie nicht meine
Gattin geworden. Mit närrischem Kopfe hätte ich mich in den
schwellenden Strom der Täuschungen gestürzt, und vielleicht wäre ich
niemals nüchtern geworden. Vielleicht hätte ich immer jene bebende
Frühlingserscheinung in Ihnen gesehen, wie bei der ersten Gelegenheit,
vielleicht hätte ich es niemals bereut, dass ich Sie zu mir genommen.
Die unpraktischen Menschen sehen ja leicht die kalte Wirklichkeit so,
wie sie sich in ihren verrückten Träumen spiegelt! Aber nun, da es
aus Ihrem innersten Willen heraus anders ausgefallen, brauchen Sie
nichts zu fürchten. Im Tone der perfectesten Dummheit werde ich zu
Ihnen sprechen, ich werde Ihre blühende Gesichtsfarbe loben und
darüber erstaunt sein, welch ein entzückendes Weibchen aus Ihnen ge-
worden! Ich werde dann warm die Hand Ihres lieben Gatten drücken
und mit ihm Ansichten über das Wetter tauschen.

Sie sollen es mir nicht anmerken, dass ich mir je einmal unser
Verhältniss anders vorgestellt, und wie unendlich gleichgiltig mir Ihre
schlampige, jeder Grazie entbehrende Weiblichkeit ist. Denn schlampig,
faul und formlos werden Sie sein, das ist sicher. Ein Geschöpf, das
so heiratet wie Sie, schüttelt unbedingt alle die bezaubernden weiblich
schönen Züge ab, die ihren Beruf erfüllt haben, nachdem sie ihr unter
die Haube geholfen.

Aber Gott verhüte es, Marianne, dass ich mich in dieser Voraus-
setzung täusche! Wie ich mich auch machen will, meine gleichgiltige,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 332, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0332.html)