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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 343

Text

DIE SOMNAMBULEN ALS LEHRER.
Von Dr. Carl du Prel (München).
(Schluss.)

Zahlreich sind die Beispiele, wo die Somnambulen dem Magneti-
seur aus irgend einer Verlegenheit helfen, weil eben wohl sie, aber
nicht er, in der transscendentalen Physik und Psychologie bewandert
sind. Eine Somnambule, bei der der Heilinstinct sich einstellte, sagte
zu Charpignon, sie sehe zwar das Bild einer Pflanze, welche für die
in Rede stehende Krankheit gut sei, könne sie aber nicht nennen. Wie
es nun häufig vorkommt, wusste sie voraus, dass ihr Hellsehen den
höchsten Grad in einer bestimmten Nacht erreichen würde. Da nun
Charpignon nicht kommen zu können erklärte, verfiel sie auf einen
Ausweg: Er solle ein Stück Eisen, gross wie ein 5 Francs-Stück, drei
Tage nacheinander je ¼ Stunde magnetisiren und es ihr mit der Sug-
gestion geben, es sich um 11 Uhr Nachts auf den Kopf zu legen,
auch Papier und Bleistift zurechtzulegen. Sie würde dann einschlafen,
eine Stunde später ganz hellsehend sein, den Namen der Pflanze und
den Fundort aufschreiben. Dieses Verfahren hatte einen vollständigen
Erfolg.1) Auf eben solche Weise, um dem Magnetiseur aus einer Ver-
legenheit zu helfen, wurde von einer Somnambulen die künstliche
Blasenbildung sowie die Purgirung durch Suggestion entdeckt.2) Die
pädagogische Verwerthung der Suggestion ist ebenfalls schon im ver-
gangenen Jahrhundert durch Lützelburg geübt worden, und die Som-
nambulen, bei welchen sie angewendet wurde, gaben die Anleitung, wie
es geschehen sollte, wussten Bescheid über die Zuverlässigkeit dieses
Mittels und die lange Wirkung solcher Suggestionen.3)

Ein Somnambuler ist es, der für einen Kranken Bäder von kaltem
Wasser verordnete, welches unter den Rädern einer Mühle geflossen;4)
im Wachen wusste er sicherlich nichts von der elektrischen Erregung
zerstäubender Flüssigkeiten. Eine Somnambule ist es, welche sagt, dass
die natürlichen Nachtwandler ebensogut wie die magnetischen Som-
nambulen, wenn man sie befragen würde, die Mittel ihrer Heilung an-
geben könnten.5)

Die Somnambule Schelling’s gab im Schlaf die Anleitung zur
Herstellung einer Maschine, durch welche sie geheilt werden würde,
und die als ein durch Elektricität und Galvanismus verstärktes mes-


1) Charpignon: Physiologie etc. du magnétisme animal. 59, 60. — 2) Du
Prel: Studien I., 200, 201. — 3) Du Prel: Studien I., 191—193, 195. — 4) Biblio-
thèque du magnétisme animal. VIII., 229. — 5) Ebendort. VIII., 117.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 343, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0343.html)