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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 344

Text

344 DU PREL.

merisches Baquet angesehen werden kann, also als Odquelle.1) Ebenso
findet man in Kerner’s »Seherin von Prevorst« die Abbildung der nach
Angaben dieser Somnambulen hergestellten Maschine, und eine noch
merkwürdigere Abbildung dieser Art, von einem ungebildeten Mädchen
entworfen, enthält die Schrift Römer’s.2)

Aerzte, Physiker, Psychologen und Philosophen könnten von den
Somnambulen lernen. Eine lange Reihe von Beispielen zeigt, dass seit
Mesmer die moderne Wissenschaft in sehr wichtigen Einsichten den
Somnambulen beständig nachhinkt. Bei diesen Beispielen handelt es
sich aber nur um solche Punkte, die heute endlich von der Wissen-
schaft anerkannt sind, und zwar sind es durchschnittlich 50—100 Jahre,
um welche die reflective Einsicht später kam als die intuitive. Diese
Reihe von Beispielen wird aber später sicherlich noch sehr verlängert
werden um solche Punkte, bei welchen die nachhinkende Wissenschaft
erst in Zukunft anlangen wird. Man wird einwerfen, mit intuitiven
Einsichten sei der Wissenschaft nicht gedient, sondern nur mit reflec-
tiven, ja mit experimentellen; aber die Berichte zeigen ja, dass man
der intuitiven Anleitung meistens das Experiment gleich folgen liess,
und zwar mit Erfolg; also sollten solche Aussprüche der Somnambulen
wenigstens als Wegweiser benützt werden. Kant hat alle grossen natur-
wissenschaftlichen Entdeckungen unseres Jahrhunderts antecipirt, den
Darwinismus, die Erhaltung der Kraft etc., und wenn man seine intui-
tiven Einsichten als Wegweiser benützt hätte, würden sie eben früher
experimentell bewiesen worden sein.

Man wird auch einwerfen, dass die Somnambulen, wie auch die
automatisch schreibenden Medien häufig Aufschlüsse von auf der Hand
liegender Unrichtigkeit, ja Unmöglichkeit geben. Das ist richtig; aber
davon abgesehen, dass auch in unseren wissenschaftlichen Lehrbüchern
Wahrheit und Irrthum sehr gemischt sind, liegen solche Misserfolge
am Ungeschick der Experimentatoren und dem Mangel einer zuver-
lässigen Methode. Die bisherigen Entdeckungen der Somnambulen,
worin sie der Wissenschaft vorangeeilt sind, verdanken wir nur zu-
fälligen Umständen und Verlegenheiten; es sind nur unwillkürlich
gefundene natürliche Muster einer Fähigkeit, die offenbar durch die
Kunst geweckt und geleitet werden kann. Wenn wir auf dem Wege
der absichtlichen Fragestellung nicht immer gleich gute Resultate er-
halten, ja oft mit unsinnigen Antworten bedient werden, so liegt eben
die Schuld an der Methode des Fragers, der nicht weiss, mit welcher
ausserordentlichen Feinheit die Somnambulen behandelt werden müssen.
Die richtige Methode kann offenbar nur der finden, der in der trans-
scendentalen Psychologie bewandert ist; denn er hat es mit der trans-
scendentalen Wesensseite des Somnambulen zu thun, die von ausser-
ordentlicher Empfindlichkeit für alle psychologischen und physischen
Factoren ist. Diese Feinheit ist nun auch nöthig in Bezug auf die


1) Archiv VII., 1, 35. — 2) Historische Darstellung einer höchst merk-
würdigen Somnambulen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 344, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0344.html)