Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 407

Der Freund der Logik (Leblanc, Maurice)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 407

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DER FREUND DER LOGIK. 407

Und als ich — noch immer aus Bosheit — langsam meine Pistole
hob, da sträubten sich seine Haare wie leichte Gräser. Ich hätte bei-
nahe gelacht. Wie spasshaft! Es erinnerte mich an das Haar eines
Tauchers, den ich in einem Concertcafé auf dem Grunde eines Aqua-
riums beobachtet hatte.

Schliesslich hatte ich doch Mitleid mit ihm. Umsomehr als seine
Augen, während er nicht aufhörte, vor Schrecken zu zittern, nach und
nach von gar traurigen, traurigen Dingen zu raunen begannen. Mein
Auge hatte das seine nicht einen Moment verlassen. Um das zu thun,
bedurfte es für mich einer gewaltigen Anstrengung. Bei dieser An-
strengung zersprang irgend etwas. Was? Oh, mein Gott, mein
Gott! Ich legte meine Waffe auf den Ofen. Ein Schlüsselbund lag
dort. Der Schreibtisch war ganz nahe; ich öffnete ihn. Ich blickte gar
nicht mehr zurück, was hinter mir geschah. Wozu mich wegen dieser
Gliederpuppe beunruhigen? Ich wühlte herum, durchstöberte die Schränke.

Da ereignete sich etwas Seltsames. Jegliches Geräusch verstummte.
Es ist ja niemals ganz ruhig, selbst wenn Stille herrscht. Und jetzt
war es ganz ruhig. Ich untersuchte die Uhr. Unerklärliches Wunder —
das Pendel ging hin und her, und doch machte es kein Geräusch. Und
überhaupt Alles, Alles um uns schwieg

Ich drehte mich nach dem Manne um, geradezu, als wollte ich ihn
deswegen befragen. Das Schweigen ging von ihm aus.

Das Schweigen ging von ihm aus. Es stieg in dicken Wolken
auf wie der Rauch, der ein Zimmer erfüllt. Uebrigens zitterten seine
Hände nicht mehr. Ich näherte mich ihm, ich erwartete, dass auch
sein Herz nicht mehr schlagen würde, sein Herz, das der grossen
Glocke glich

Ich beugte mich auf seine offenen Augen herab. Der Schwindel
packte mich. Aus den tiefliegenden Augäpfeln gähnte mir ein Abgrund
von Schweigen entgegen. Der eiskalte Schweiss trat mir aus den Poren.
Ich hatte gefühlt, dass es das Schweigen des — Todes war.

Von jetzt beginnt mein Wahnsinn. Ich sagte zu mir selbst: »Ich
bin also toll.«

Er war todt, ganz von selbst. Ich wagte mich nicht zu rühren.
Meine Augen versenkten sich wieder in die seinen. Dann begann das
Geräusch, das allen Raum erfüllt, von Neuem. Ich hörte das Tik-Tak
der Uhr. Auch mein Herz fing wieder an zu pochen. Es war die grosse
Todtenglocke, die dröhnend in meiner Brust schlug. Ich hatte Furcht,
ganz entsetzliche Furcht. Und ich erkannte, dass es seine Furcht war.
Ja, sie ging in mich über, da sie bei ihm nichts mehr zu thun hatte,
und äusserte sich durch dieselben Symptome. Meine Hände zitterten
wie kleine Vögel. Meine Haare sträubten sich wie das Haar eines
Tauchers. Und im Grunde meiner Seele war etwas im Begriff, aus den
Fugen zu gehen.

Im Begriff nur; denn meine ausserordentliche Erleuchtung, welche
der Wahnsinn nun verzehnfachte, warnte mich vor Gefahr. Mit einer

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 407, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-11_n0407.html)