Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 427

Ermete Zacconi als Ibsen-Darsteller (Jacobsen, R.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 427

Text

ERMETE ZACCONI ALS IBSEN-DARSTELLER.
Von R. Jacobsen (Venedig).

Was dieser einzige Schauspieler — Zacconi — für das Ibsen’sche
Drama in den letzten drei, vier Jahren in Italien gethan hat, ist fast
unglaublich. Ohne ihn wäre Ibsen hier, wo man eine natürliche, im
Temperament begründete Abneigung gegen seine ganze Denkweise und
seine ganze Manier hegt, überhaupt unmöglich. Dasselbe Publicum, das
ein Jahr vorher die »Wildente« von der Bühne höhnte, das mit fader
Gleichgiltigkeit der Aufführung von »Hedda Gabler« und »Nora« folgte,
wurde durch »Spettri« (»Gespenster«), dieses speciell nordische, düstere
Ibsen’sche Meisterwerk, das man am wenigsten dem südlichen Geist
zugänglich glauben sollte, und worin Zacconi sich zum erstenmale in
Ibsen’schen Rollen als Oswald zeigte, enthusiastisch ergriffen.

An diesem merkwürdigen Abend, ich wohnte der ersten Auf-
führung von »Spettri« im Teatro Valle zu Rom im December 1893
bei, geschah übrigens gleich am Anfang etwas, was im Bühnenleben
nichts Ungewöhnliches ist.

Einer jener Momente trat ein, wo ein vereinzeltes Wort, ein ver-
einzelter Effect sich wie aus dem Ganzen losreisst und wie ein Blitz
unter die Zuschauer schlägt. Der Blitz kann lähmend wirken, dann
erschlaffen die Geister und schläfern ein; er kann aufreizend und
stachelnd sein, dann wird die Raillerie und der Widerstand rege, er
kann aber auch im tiefsten Sinne wecken. Dann erhebt sich die
Phantasie, die Lebensorgane werden angespannt, die Gemüther werden
weich und empfänglich für die innerlichsten Gedanken des Dichters,
die Bühne wird Leben.

Ich glaube, dass es so ein vereinzeltes Wort, so eine vereinzelte
Wirkung war, die bei der ersten Aufführung von »Spettri« das römische
Publicum verwandelte. Es klingt sonderbar und fast unglaublich,
als aber Frau Alving in der Scene mit Pastor Manders im ersten Act
gegen die Thür des Speisesaales zeigte, wo Oswald und Regine sich
zusammen finden, und sacht und angstvoll das eine Wort »Spettri«
flüsterte, ging ein Schauer erwartungsvollen Beifalls durch die Reihen.
Die Augen richteten sich gross und starrend gegen die Bühne, die
Blicke hingen wie gebannt an den Lippen der Spielenden, hie und da
hörte man das Wort »Spettri« ernst und feierlich im Saale wiederholt.

Ob man in diesem Augenblicke an etwas wirklich Geisterhaftes,
das man zu sehen bekommen sollte, dachte, oder ob man plötzlich
die Idee von dem düsteren Atavismus des Dichters verstand und sich
dadurch ergriffen fühlte, weiss ich nicht. Das Interesse aber war von

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 427, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-11_n0427.html)