Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 428

Ermete Zacconi als Ibsen-Darsteller (Jacobsen, R.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 428

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428 JACOBSEN.

dem Augenblicke an gefangen, und die Gemüther waren weich und
vorbereitet.

Das grosse Verdienst der italienischen Aufführung der »Gespenster«
war in erster Linie dieses, dass die Personen des Stückes vollständig
Menschen geworden waren. Und wie viel sich auch gegen die Ma-
nier, in welcher die italienischen Schauspieler Ibsen darstellen, sagen
lässt, ihr absoluter Vorzug bleibt immer, dass sie jede Abstraction
dabei verbannt. Wenn daher die Rolle an und für sich künstlich und
construirt ist, wie z. B. Gregers in der »Wildente«, wird das Spiel zu
gar nichts; es zerfallt und zersplittert sich oder wird grotesk oder
gar lächerlich. Wo aber ein Boden echten Temperaments, gesunden
oder kranken, sich findet, wo Saiten rein menschlich unter den fremd-
artigen Worten klingen, dort erhebt sich das Spiel in merkwürdig
breiter, plastischer Kraft, dort zeichnet es sich fast impressionistisch
frisch und gross entworfen vom düsteren Hintergrunde ab, dort wirkt
es auf uns weit mehr überzeugend und packend als die nordische
Darstellung desselben Werkes. Das gilt bei Eleonora Duse, wenn sie
»Nora« spielt, bei Ernesto Novelli, wenn er den alten Ekdal in der
»Wildente« darstellt, vor Allem aber in erster Reihe bei Ermete Zacconi.

Seine Darstellung von Oswald in »Gespenster« war der glück-
lichste und gewagteste Naturalismus, den ich je gesehen habe, selbst
im Skandinavischen, wo die Ibsen-Figuren einheimischen Boden haben,
sind alle Protagonisten gegen ihn verblasst, ja schemenhaft.

Hier gab es keine Nervenchocs und krankhafte Effectmittel statt
wirklichen Spieles, hier gab es keine nervöse Koketterie mit angeerbter
Kränklichkeit, wozu die Rolle andere Darsteller vielfach verleitet hat,
hier war nur der arme gebrochene Mensch ohne Saft und Kraft, das
schwache Gehirn in dem blassen, aufgedunsenen Kopfe, ein paar dumme,
verwilderte Augen, plötzlich gläsern starrend und ganz blöde, wenn
die Ideen stockten; hier wirkte nicht der interessante junge Mann,
der abstracte Schattenriss dieser grässlichen Consequenzen der Erb-
lichkeit, sondern deren leibhaftige und lebendige Personification: der
Idiot.

Zacconi hatte wirklich den Muth, Oswald als Idioten zu spielen,
als einen solchen, der nur plötzlich und stockend klare Ideen hat,
dessen bewusstes Geistesleben ganz zerknickt ist, und der nur einen
Schimmer von Lebenskraft gewinnt, wenn er an Essen, Trinken und
Mädchen denkt. Die Maske erinnerte etwas an einen nordischen, todes-
müden, von Saufen, allerlei Ausschweifungen und starken Gemüths-
bewegungen verliederten Typus, der sich bei uns häufig im Musiker-
stande findet: helles, langes, glatt zurückgekämmtes Haar, ein schlaffer,
melancholischer Schnurrbart über einem sinnlichen Mund, eine bleiche
Stirne, wovon nervöse Schweisstropfen unaufhörlich zu perlen schienen,
ein heiserer, kindischer Stimmenklang, ein Körper mit erschlafften,
hängenden Armen und Beinen, nicht aus Blut, Muskeln und Knochen,
sondern wie aus weichlichem Knorpel gebildet.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 428, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-11_n0428.html)