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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 523

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BEKENNTNISSE. 523

Malplatz des Lebens. Sie führten mich in Ihr Lazareth, ver-
banden meine Wunden, linderten meine Schmerzen, ver-
scheuchten mit Ihrer weichen Hand den Missmuth von meiner
Stirn, gaben mir durch Ihre liebevolle, schonende Behandlung
den Lebensmuth wieder.

Niemals kann ich vergessen, was Sie mir gewesen sind.

Nicht wahr? — Sie waren eine barmherzige Schwester!
eines jener seltenen aufopfernden Wesen, die der liebe Gott
in seiner Gnade der irrenden Menschheit gesandt hat. Sie
wussten, dass an dem Tage, an dem die Wunden geheilt
waren, der Krieger zu neuen Kämpfen und neuen Siegen
ausziehen würde.

Oft haben wir ja am Kamin gesessen und davon geplaudert,
dass die Stunde kommen würde und müsse, in der wir ein-
ander die Hand zum Abschied reichten. Wir wussten, dass
das Verhältniss, das wir eingingen: ich ein Soldat und Sie
eine barmherzige Schwester, nicht auf die Ewigkeit berechnet
sei. Wir wussten das, auch ohne die weltlichen Hinderungen
in Betracht zu ziehen, die sich unserm dauernden Glück
entgegenstellten. Sie begriffen, dass den Soldaten eines schönen
Tages neue Heldenthaten locken müssten. Und ich war nicht
selbstsüchtig genug, zu glauben, dass eine barmherzige
Schwester sich der Pflege und der Wartung eines Einzigen
widmen darf.

Was ich mir vorwerfe, ist, dass ich Sie nicht darauf
vorbereitet habe, dass die Stunde der Trennung herannahte.
Sie werden mir verzeihen, wenn Sie hören, dass ich einzig
und allein gezögert habe, weil ich es nicht wagte, Ihnen
Kummer zu bereiten. Ich bin ein Mann, und ich kann viel
ertragen. Nur Eins nicht — Sie leiden zu sehen.

Liebe Freundin, das junge Mädchen, das in acht Tagen
meine Gattin wird, ist ein so engelsfrommes, sanftes Wesen,
dass Sie sie unwillkürlich lieben würden, wenn Sie sie
kennten. Sie wird mich glücklich machen, seien Sie über-
zeugt davon, und ich werde sie lehren, Ihr Andenken zu
segnen.

Ihr Vater, der steinreiche Banquier H., hat vorläufig
meine Schulden bezahlt. Er wird es billigen — denn er ist
ein vollendeter Cavalier — dass ich diese Zeilen mit dem

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 523, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0523.html)