Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 536
Text
Ihnen ein, so früh zu heiraten? Nur die Bauern heiraten früh, aber bei
denen ist ja bekanntlich Alles Gemeinheit, wie kommen aber Sie dazu?
Was ist das für ein Vergnüngen, in so jungen Jahren Fesseln anzu-
legen?«
»Ich bin gar nicht jung,« sagte Nikitin beleidigt. »Ich bin
26 Jahre alt.«
»Papa, der Rossarzt ist da!« rief Warja aus dem anderen Zimmer.
Und das Gespräch wurde abgebrochen. Warja, Manioussia und
Poljansky begleiteten Nikitin nach Hause. Als sie an seinem Hausthore
ankamen, sagte Warja:
»Warum zeigt sich denn Ihr geheimnisvoller Mitropolit Mitro-
polititsch nirgends? Er soll doch mal zu uns kommen «
Als Nikitin bei dem geheimnissvollen Ippolit Ippolititsch eintrat,
sass dieser auf dem Bette und zog seine Hosen aus.
»Legen Sie sich nicht schlafen, Lieber!« sagte ihm Nikitin athemlos.
»Warten Sie noch!«
Ippolit Ippolititsch zog rasch die Hosen an und fragte aufgeregt:
»Was ist los?«
»Ich heirate.«
Nikitin setzte sich neben seinen Collegen und sagte, indem er
ihn verwundert ansah, als ob er über sich selbst staunen würde:
»Denken Sie sich, ich heirate! Die Mascha Schelestoff! Heute
habe ich ihr den Antrag gemacht!«
»Nun, sie ist, glaube ich, ein gutes Mädchen Nur sehr jung
ist sie.«
»Ja, jung!« seufzte Nikitin und zog besorgt die Schultern in die
Höhe. »Sehr, sehr jung!«
»Sie lernte bei mir im Gymnasium. Ich kenne sie. In Geographie
war sie passabel, in der Geschichte schlecht. Auch war sie in der
Classe unaufmerksam.«
Plötzlich that Ippolit Ippolititsch dem Nikitin leid und er wollte
ihm etwas Zärtliches, Tröstendes sagen.
»Warum heiraten Sie nicht, mein Lieber?« fragte er. »Ippolit
Ippolititsch, warum sollten Sie nicht zum Beispiel Warja heiraten? Das
ist ein wunderbares, ausgezeichnetes Mädchen! Es ist wahr, sie liebt
sehr zu streiten, aber sie hat ein Herz was für ein Herz! Sie
fragte gerade nach Ihnen. Heiraten Sie sie, mein Lieber! Ja?«
Er wusste ganz genau, dass Warja diesen langweiligen stumpfnasigen
Menschen nie heiraten würde, und redete ihm doch zu Warum?
»Die Heirat ist ein ernster Schritt « sagte Ippolit Ippolititsch.
»Man muss Alles bedenken, erwägen, so geht es nicht Besonnenheit
schadet nie, und besonders beim Heiraten, wenn der Mensch aufhört,
ledig zu sein, und ein neues Leben beginnt «
Und er sprach wieder von Dingen, die Allen längst bekannt
waren. Nikitin hörte ihm nicht mehr zu, verabschiedete sich und zog
sich zurück. Er entkleidete sich rasch und legte sich rasch nieder, um
schneller an sein Glück denken zu können, an Manioussia, an die
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 536, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0536.html)