Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 540

Peter Altenberg und sein neues Buch (Messer, Max)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 540

Text

PETER ALTENBERG UND SEIN NEUES BUCH
»ASHANTEE«.
Von Max Messer (Wien).

Im Frühling des vorigen Jahres erschien ein Buch, das von
einigen Jünglingen und Frauen sogleich in seiner wahren Bedeutung
empfunden und mit enthusiastischer Liebe gepriesen wurde. Jetzt findet
es in allen Ländern begeisterte Verehrer, die sich bemühen, seinen
ausserordentlichen Werth zu beweisen und so die Feindseligkeiten der
von ihm verletzten »hommes médiocres« zu bekämpfen. Peter Altenberg
heisst der Schöpfer dieses Buches. Sein unzeitgemässes Wesen selbst
erkennend, nannte er es »Wie ich es sehe«. Der Frühling dieses Jahres
brachte uns sein zweites Werk: »Ashantee«.*) Es ist das künstlerische
Denkmal seines Verkehres mit den Negern, welche diesen Sommer
im Wiener Thiergarten als Ausstellungsobjecte zubrachten und dem
Dichter eine Reihe von tiefen, unvergesslichen Impressionen gaben. Die
grosse Erkenntniss, welche Peter Altenberg von dem Umgang mit den
Ashantee gewonnen hat, das Resultat der Beobachtungen seines Ver-
standes, der Empfindungen seines Herzens, kann das Publicum aus
diesen neuen Skizzen nachdenken, nachfühlen.

Es wird hier zum erstenmal in künstlerischer Form, aus per-
sönlichen Erlebnissen heraus das Problematische der Cultur
gezeigt und vor Allem die Lüge zerstört, dass Cultur und Mensch-
lichkeit identische Begriffe seien. Peter Altenberg lehrt uns, in die Cultur
unter der Optik der »Uncultur« zu sehen. Indem wir uns mit den
Augen dieser schwarzen, einfachen, kindlichen Menschen schauen,
werden wir uns klarer über uns selbst, erblicken früher verborgene
Mängel unseres Lebens, können unsere grossen Ziele deutlicher erfassen,
den mühevollen Weg zu ihnen abkürzen, erleichtern. Vollkommener
wollen wir werden, menschlicher, ein höherer Typus: Mensch. Peter
Altenberg weist uns zu diesen Einfachen, Niedrigen, Natürlichen. Er
ruft uns nicht zu: Werdet wie sie, bringt euer Leben in Spiel, Tanz,
Sorglosigkeit, Heiterkeit zu! Die Jahrtausende, die uns zu dem machten,
was wir sind, kann unser Wille nicht unwirksam machen. Wir können
in dieses frühere Stadium der Menschheit nicht zurückkehren, aber
wir können die Quellen seiner Stärke, seiner Friedlichkeit, seines
ruhevollen Glückes aufsuchen und wie Kranke an Heilwässern uns in
ihnen laben, aufrichten, kräftigen. — An diesen ersten Menschen
können wir lernen, wie viel in unserem complicirten Leben überflüssig,
hemmend ist — also leichter werden, beweglicher; an diesen ersten


*) Verlag von S. Fischer, Berlin.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 540, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0540.html)