Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 551

Die magische Vertiefung der modernen Naturwissenschaft (Du Prel, Dr. Carl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 551

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VERTIEFUNG DER NATURWISSENSCHAFT. 551

Menschen vordringen können, den Punkt, wo sich die Grenzlinie zwi-
schen Körper und Geist bereits verwischt, so dass es den Anschein
gewinnt, als sei die innerste Essenz des Menschen odischer Art. Zum
Mindesten müssen wir in diesem Od das Vermittelnde zwischen Geist
und Körper sehen, und zwar, wohlgemerkt, des Geistes, nicht bloss
soweit derselbe sich in unserem Selbstbewusstsein beleuchtet vorfindet,
sondern soweit als er überhaupt reicht. Reichenbach ist nicht so weit
gegangen, die letzte Folgerung zu ziehen und im Magnetismus das
Bindeglied zwischen der sinnlichen und übersinnlichen Welt zu sehen,
worauf neuere Erfahrungen immer mehr hindeuten; aber innerhalb der
sinnlichen Welt hat er das Od als das Alles durchdringende erkannt.
Schon daraus aber ergeben sich in der sinnlichen Welt Beziehungen
der Naturdinge unter sich, zwischen ihnen und den Lebewesen, wie
zwischen den Lebewesen untereinander; Beziehungen, die viel weiter
reichen, als was wir von dem unendlichen Flechtwerk von Wirkungen
und Gegenwirkungen in der Natur durch unsere Sinne erfahren. Diese
gegenseitigen Beziehungen sind realer als die mehr äusserlichen, von
den Sinnen wahrgenommenen, weil darin die Essenzen der Dinge in
Beziehung treten, dagegen uns die Sinne gleichsam nur die Symbole
der Dinge offenbaren, deren eigentliches Wesen aber weit mehr ver-
decken als aufdecken, so dass wir also schon durch unsere Organisa-
tion davon ausgeschlossen sind, die eigentlichen realen Beziehungen
der Naturdinge unter einander zu erkennen, die den Gegenstand der
Magie bilden.

Als freilich die Pariser Akademie den Auftrag erhielt, das System
Mesmer’s zu untersuchen, war sie weit davon entfernt, die Tragweite
dieser neuen Entdeckung zu durchschauen; sie dachte zu hoch vom
damaligen Wissen, zu gering von der Entwicklungsfähigkeit der Wissen-
schaften. Sie fällte das Urtheil, es gebe keinen animalischen Magnetis-
mus, denn (!) er entziehe sich aller sinnlichen Wahrnehmung. Wir
brauchen uns bei dieser schülerhaften Logik nicht aufzuhalten. Dass
nur das sinnlich Wahrnehmbare wirklich sei, das war von jeher die
Sprache derjenigen, die alle Philosophie für entbehrlich halten, über
ihre kleine Fachwissenschaft nie hinausblicken und auf dieser schmalen
Basis eine Weltanschauung errichten wollen. Die Erkenntnisstheorie
lehrt im Gegentheil, dass wir mit den Sinnen nur Wirkungen auf
unseren Organismus wahrnehmen, aber nicht das Wirkende. Gerade
das Reale ist uns verborgen, das Wirkliche ist übersinnlich. An Be-
strebungen, den Magnetismus sinnenfällig zu machen, hat es seit Mesmer
nicht gefehlt; aber erst Reichenbach hat die physikalische Grundlage
dafür gelegt und die Wirkungen odischer Einflüsse auf das Gesicht
und Gefühl constatirt. Aber auch er ist nicht durchgedrungen, weil
diese Wahrnehmungsfähigkeit sich nicht bei allen Menschen findet,
sondern nur bei den Sensitiven. Das war allerdings ein Mangel, berech-
tigte aber nicht zu dem Schluss, mit dem man schnell fertig war, er
habe nicht einen objectiven Naturvorgang entdeckt, sondern nur einen
subjectiven pathologischen Zustand gewisser Menschen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 551, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0551.html)