Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 552
Die magische Vertiefung der modernen Naturwissenschaft (Du Prel, Dr. Carl)
Text
So oft es der Wissenschaft gelingt, wieder einen Bruchtheil des
Uebersinnlichen zur sinnlichen Erscheinung zu bringen, dürfen wir
sicher sein, dass merkwürdige Entdeckungen sich vorbereiten, durch
die wir der Erkenntniss der eigentlichen Essenz der Dinge näher
rücken. In dieser Weise sind die wenigen Nachfolger belohnt worden,
die Reichenbach gefunden hat. Ich spreche von Martin Ziegler, der,
nachdem er sein Vermögen in Versuchen aufgebraucht hatte, die ihm
doch nicht zur Anerkennung verhalfen, in Dürftigkeit starb; dann aber
von Rochas, dem noch lebenden Gelehrten, dem es beschieden zu sein
scheint, die definitiven Beweise zu liefern, dass es einen animalischen
Magnetismus gibt, und dass dieser der Schlüssel zur Magie ist. Uebrigens
sind die Versuche, die Radiationen des menschlichen Organismus und
anderer Körper durch photographische Bilder als Objecte nachzuweisen,
unter mehrfacher Betheiligung in vollem Gang und werden wohl dem-
nächst zu definitiven Ergebnissen führen.
Wenn die Naturwissenschaft sich nicht mehr damit begnügen wird,
die Theile der Natur in der Hand zu halten, sondern das geistige Band
derselben suchen und mit weitem Blick zu den höchsten Principien
aufsteigen wird, dann wird sich herausstellen, dass es nur Eine Urkraft
von proteusartiger Verwandlungsfähigkeit gibt, welche die grössten und
kleinsten Erscheinungen umfasst, den Makrokosmos und den Mikro-
kosmos. Man wird dann in dieser Kraft die Weltseele der Alten er-
kennen, die schon in den Anfängen der griechischen Philosophie be-
müht waren, alle Erscheinungen auf ein Urelement zurückzuführen.
Wenn freilich bei diesem Bemühen Heraklit das Urfeuer zum Princip
aller Dinge macht, so dürfen wir ihm nicht den Unsinn in die Schuhe
schieben, als hätte er das Alles verzehrende Element zum Alles gebärenden
gemacht; wir brauchen ihn aber auch nicht wohlwollend zu entschuldigen,
wie Professor Zeller, welcher meint, Heraklit habe nur eine symbolische
Anschauung in eine sinnliche Form gekleidet,1) oder wie Lassalle, der
in diesem Urfeuer eine metaphysische Abstraction sieht.2) Wir werden
vielmehr das Urfeuer Heraklit’s ganz eigentlich physikalisch verstehen,
zwar nicht im Sinne einer Köchin, aber im Sinne Reichenbach’s, als
das Alles durchdringende Od, insoferne es als Lichtphänomen sich
kundgibt. Wir finden dasselbe in allen Jahrhunderten unter verschiedenen
Benennungen, als Telesma bei Hormes, Enorman oder ignis subtilissimus
bei Hippokrates, als Akasa bei den Indiern, Astrallicht bei den Kaba-
listen. Galenus nennt es πνεὗμα, Van Helmont Blas humanum, Para-
celsus Alkahest, Boerhave Copula zwischen Geist und Körper; bei den
Alchemisten heisst es quinta essentia, bei den Occulisten im ganzen
Mittelalter Allgeist oder Lebensgeist, bei Descartes subtile Materie, bei
Newton Spiritus subtilissimus.
Eine spätere Zeit wird den geistreich sein sollenden Ausspruch von
Dubois-Reymond, dass er an eine Weltseele erst dann glauben werde,
1) Zeller: Philosophie der Griechen. I. 585.
2) Lassalle: Heraklit der Dunkle. I. 361.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 552, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0552.html)