Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 565

Ihr letzter Ball (Auernheimer, Raoul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 565

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IHR LETZTER BALL. 565

»Ja freilich,« lächelte sie traurig; — traurig lächelte sie übrigens
erst seit ungefähr fünf Jahren, wenn eine unzweideutige Artigkeit sie
besonders glücklich machte.

»Frau Königin,« fuhr er fort mit galanter Geberde, die weissen
Fingerspitzen auf die Brust gestemmt, »für einen treuen Pagen steh’
ich gut.«

Sie schlug ihm leicht, liebkosend auf den Mund; und mit einem
strafenden Blick schaute sie so verliebt zu ihm empor, dass ihm ganz
heiss wurde.

»Sie werden auch lieber mit den jungen Mädchen tanzen,«
meinte sie.

»O, die jungen Mädchen!« Er lachte verächtlich. »Aber lassen
Sie’s doch auf den Versuch ankommen, gnädige Frau, sagen Sie Ja!«

Sie lächelte, und zwar diesmal schalkhaft; allerdings nicht so
schalkhaft, dass er eine Zahnlücke hätte bemerken können, die sie
leider seit drei Jahren hatte.

Sein Gesicht nahm einen kindlich bittenden Ausdruck an:

»Sagen Sie Ja.«

Sie senkte den hübschen Kopf und legte ihre Hand in die seine.

Er blickte sinnend auf einige Spuren schlecht verriebenen Puders
auf ihrer weissen Stirn.

Und er ergriff ihre zweite Hand:

»Sagen Sie Ja, schöne Frau — bitte schön!«

Noch immer schwieg sie. Sie neigte sich ein ganz klein wenig
vor, sie stützte sich ein ganz klein wenig in seine Hände.

Herr Richard Greif stand noch in dem Alter, in dem man die
Frauen durch und durch kennt. Nur wusste er noch nicht immer so-
gleich, wie er sich benehmen sollte. Er überlegte daher einen Augen-
blick im Angesichte dieser verstohlenen Zärtlichkeit. Noch nicht ganz
einig mit sich, entschloss er sich, auf jeden Fall einen Augenblick
impertinent zu lächeln; — und sogleich lächelte er auch mit vollendeter
Impertinenz.

Aber noch immer schwieg die schöne Frau, reglos, die Augen
niedergeschlagen. Bei dem frechen Lächeln konnte er es auf die Dauer
unmöglich bewenden lassen, das sah er ein. Er überlegte: Sollte er
die ältliche Dame an sein Herz ziehen, sollte er ihr zu Füssen sinken?
Die Geschichte würde seine Freunde nicht wenig erheitern. Zudem —
sie ist so übel nicht. Und vielleicht nimmt sie eine Ehrenkarte, wenn
sie liebt.

Und schon machte das impertinente Lächeln in seinen Zügen
dem Ausdruck seelenvoller Liebesleidenschaft Platz; schon hob er ver-
suchsweise den rechten Arm Da erschollen trippelnde Kinderschritte
im Nebenzimmer, und ein helles Stimmchen rief: »Mama!«

Mama hatte zur selben Zeit ihre Hände aus denen des jungen
Mannes gelöst und schaute ihn aus höchst erstaunten Augen unschuldig
lächelnd an.

»Da bin ich, Emmy!« rief sie ins Nebenzimmer.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 565, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0565.html)