Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 566

Ihr letzter Ball (Auernheimer, Raoul)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 566

Text

566 AUERNHEIMER.

Das Köpfchen der dreizehnjährigen Emmy, der Tochter des
Hauses, erschien in der Thüre, verschwand aber sogleich wieder
beim Anblick des schwarzbefrackten Besuches mit dem feierlichen
Cylinder.

»Also ja? Wir dürfen hoffen?« fragte der junge Mann, ein
wenig verlegen, ein wenig beschämt. Aber er behielt Fassung genug,
in die Tasche zu greifen und einige weisse Goldschnittkarten daraus
hervorzuholen.

»Vielleicht,« verhiess sie und streckte ihm ihren weissen runden
Arm entgegen.

Er küsste die Hand, die sie leise gegen seine Lippen drückte,
und die Ballkarte legte er so nebenbei auf den Tisch.

Dann, an der Thüre, verneigte er sich noch einmal, wobei er den
Versuch machte, sie mit dem cynisch begehrlichen Blicke eines lang-
jährigen Wüstlings zu messen. Da ihm das aber in der Eile nur un-
vollständig gelang, zog er sich mit einer verbindlichen Verbeugung
zurück.

Frau Selma schaute ihm nach mit dem zärtlich ironischen Lächeln,
das man den ersten Gehversuchen eines Kindes zollt. Behaglich konnte
sie sich gestehen, dass dieser unglückliche Knabe in sie verliebt sei.
Sie liess sich in einen Lehnstuhl gleiten und seufzte ein wenig. Kein
Zweifel, auch sie hatte ihn lieb. Allerdings hatte das nicht viel zu
bedeuten bei ihr; denn in der Dauer ihrer Ehe hatte sie sich wohl
schon hundertmal verliebt. Und doch hatte sie die eheliche Treue
eigentlich nie verletzt. Fürs Erste hatte sie sich zu lieb dazu, und
zweitens gehörte sie trotz alledem zu jenen schönen Frauen, die allzeit
auf die Stimme ihrer Modistin mehr hören als auf die Stimme ihres
Herzens.

Nachdenklich schritt sie durch das Kinderzimmer und strich im
Vorbeigehen dem kleinen Willi über das seidenweiche Haar. Und da
der Kleine verwundert das Hälschen drehte, lächelte sie ihm zu, schalk-
haft, mit geschlossenen Zähnen, ohne zu bedenken, dass der sechs-
jährige Willi diese Schalkhaftigkeit unmöglich würdigen konnte. Dieses
Lächeln hielt auch noch an, während sie der Emmy, die sich gerade
mit Stolz selbst frisirt hatte, das Sammtband um den kurzen Mädchen-
zopf fester band.

Erst als das Fräulein eintrat, machte diese jugendliche Munter-
keit in ihren Zügen einem müden, abgespannten Ausdruck Platz.

»Ich soll auf den Studentenball gehen,« sagte sie mit Unlust,
»einige bekannte Damen sind im Comité, und man redet mir schreck-
lich zu.«

Und schier gequält schaute sie das Fräulein fragend an. Das
Fräulein war schon viel bei kleinen Kindern herumgekommen und
wusste mit schönen Frauen umzugehen.

Sie redete Frau Selma lebhaft zu, den Ball zu besuchen. Sie
müsse sich doch auch einmal unterhatten, sagte sie und führte diesen
Gedanken aus.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 566, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0566.html)