Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 568

Ihr letzter Ball (Auernheimer, Raoul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 568

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568 AUERNHEIMER. II.

»Für wann soll ich den Wagen bestellen?« fragte Herr Friedhart
beim Aussteigen finster.

Frau Selma machte ihrem mürrischen Herrn Gemahl eine Con-
cession und sagte: »Für zwei Uhr.« Aber sie dachte bei sich: »Er
kann ja warten.«

Mit leuchtendem Blick, mit einem siegesgewissen, bethörenden
Lächeln durchrauschte sie am Arm ihres Gatten den Ballsaal. Leider
waren sie zu früh gekommen. Erst die Hälfte der Lampen glühte, und
es war empfindlich kühl. Frau Selma hätte gerne ihren weissen Pelz-
kragen umgenommen, doch fürchtete sie, darin plump auszusehen. Sie
fror also.

Allmälig aber kam es zusammengerauscht, das muntere, das bunte,
tanzlustige, junge Volk.

Frau Selma wählte einen Platz zwischen zwei ärmlich gekleideten,
mageren, jungen Mädchen. Mit einem zärtlich-wohlwollenden Blick be-
trachtete sie die dürftigen Schultern ihrer Nachbarinnen. Und sie
lächelte stolz.

Die ersten Takte der Polonnaise erklangen; die Hälfte der Paare
war schon angetreten. Frau Selma fächelte sich Kühlung zu, obgleich
ihr kalt genug war, und lächelte. Herrn Friedhart’s Laune besserte
sich insoweit, dass er höhnisch zu lächeln begann.

Endlich kam Herr stud. med. Richard Greif, das Comitémitglied.
Er sah sehr hübsch aus, und Frau Selma winkte ihm schon von der
Ferne mit dem Fächer zu. Er aber bemerkte sie nicht. Er eilte an ihr
vorbei auf ein blondes Fräulein zu, die ein rothes Abzeichen trug wie
er. Frau Selma drehte sich nach ihrem Manne um, um sich zu ver-
gewissern, ob er nicht bemerkt haben könne, dass sie Herrn Greif zu-
gelächelt, und er sie übersehen habe. So etwas war ihr nämlich in
ihrem ganzen Leben noch niemals geschehen.

Plötzlich erschien Herr Richard Greif wieder, am Arme, um einen
halben Schritt zurück, einen kleinen Herrn, dem er lebhaft zuredete.
Mit diesem trat er auf Frau Friedhart zu, stellte ihr den kleinen Herrn
vor und flog mit Windeseile wieder davon, ohne weiter ein unnützes
Wort zu verlieren.

Der kleine Herr machte ein zuckersüsses Gesicht und redete
lauter dummes Zeug. Frau Selmas Augen aber schimmerten, jede
Dummheit ihres Tänzers nahm sie mit einer anmuthigen Bewegung
auf, und einmal, in der Nähe eines hübschen jungen Mannes, der sie
fixirte, konnte sie nicht umhin, über eine geistreiche Bemerkung ihres
Cavaliers in ein bethörendes, mädchenhaft helles Lachen auszubrechen.

Und auf einmal hob der Walzer an. Sie schloss einen Augenblick
die Augen vor Seligkeit, und die ganze lachende Mädchenzeit wogte
rhythmisch in ihrer Seele empor.

Sie sank in die Arme des kleinen Herrn, und sie fingen zu
tanzen an. Frau Selma war, wie sie selbst zugestand, eine wunderbare

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 568, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0568.html)