Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 569
Text
Tänzerin, mit dem kleinen Herrn aber konnte sie nicht tanzen. In
ihrer Seele gohr es. Aber noch verliess das bestrickende Lächeln ihre
Lippen nicht. Wieder und wieder fingen sie von Neuem an, jedoch
vergeblich. Endlich sagte der kleine Herr athemlos:
»Sie tanzen Dreischritt, gnädige Frau!«
»Allerdings,« versetzte sie ein wenig gereizt, »man tanzte früher
nur Dreischritt.«
»Ganz richtig,« antwortete er unendlich zuvorkommend. »Meine
Mama tanzt auch nur Dreischritt. Und auf der Hochzeit meiner
Schwester konnte sie mit mir nicht tanzen, mit dem eigenen Sohne!
Möchten Sie das glauben, gnädige Frau?«
Und er lachte über dieses so komische Familienverhältniss.
Den nächsten Tanz sass Frau Friedhart. Ihre beiden mageren,
hässlichen Nachbarinnen tanzten. Was hatten die vor ihr voraus, fragte
sich die schöne Frau verbittert. Und die Antwort fiel ihr nicht ein:
sie tanzten Sechsschritt und sie waren jung.
Da sie aber bemerkte, dass einige Damen sie beobachteten, wandte
sie sich zu ihrem Manne und sagte mit entzückter Miene: »Du glaubst
gar nicht, ich sehe so gerne tanzen zu.«
»Nun,« sagte er mit trockener Bosheit, »Du wirst ja bis 2 Uhr
Zeit dazu haben.«
Herr Richard Greif flog an ihr vorbei, im Arme seine reizende
Blondine, von der Frau Selma zu ihrem Gatten bemerkte, dass sie
frech lache. Dann schaute sie ihm nach mit einem Blicke kalter Ver-
achtung: dieser Elende hatte sie hieher gelockt!
Im nächsten Tanze kam er dann auf einen Augenblick zu ihr.
Er jammerte gewandt über die vielen lästigen Verpflichtungen, die ihn
abhielten, seinen Liebhabereien zu leben. Zur Hälfte versöhnt, sank sie
in seine Arme. Sie hatte ihn ja so lieb, diesen hübschen, kecken
Knaben, der ja übrigens trotz alledem in sie verliebt war. Und sie
lehnte sich an seine Brust und drückte ihm ganz leicht die Hand. Und
er schaute ihr tief und heiss in die Augen. Aber tanzen konnte er auch
nicht mit ihr.
Frau Selma rauschte zu ihrem Platze zurück. Noch immer lächelte
sie, aber schon glich dieses Lächeln mehr einem Krampfe ihrer
Mundwinkel.
Nach einiger Zeit wandte sie sich wieder zu ihrem Gemahl.
»Was jetzt unsere Kinder machen mögen!?« fragte sie zärtlich
träumerisch.
»Schlafen,« versetzte der Gatte rauh.
Auf einmal tauchte der junge Mann, dem zu Liebe sie vorhin
über einen Spass ihres Tänzers so laut gelacht, in ihrer Nähe auf. Er
liess seinen Blick auf ihr ruhen, war aber augenscheinlich zu schüch-
tern, sich ihr zu nähern. Sie überlegte; der Stolz der schönen Frau
kämpfte in ihr mit dem Krampfe der Eitelkeit. Schliesslich aber, da er
sich nicht vom Flecke rührte, entschloss sie sich dazu.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 569, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0569.html)