Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 570

Ihr letzter Ball (Auernheimer, Raoul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 570

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570 AUERNHEIMER.

Sie schaute mit gespannter Aufmerksamkeit nach der entgegen-
gesetzten Seite und liess dabei zerstreut den Fächer ihrer Hand ent-
gleiten.

Mit einem impertinenten Lächeln bückte sich der junge Mann, und
mit unnachahmlicher Ironie grinste er:

»Darf ich bitten, meine Gnädige.«

Zuvorkommender als seine Vorgänger fragte er:

»Gnädige Frau tanzen wahrscheinlich Dreischritt?«

Und er tanzte sehr gut. Nur dass er sich nach einer Weile nieder-
beugte und der schönen Frau ins Ohr flüsterte:

»Wann darf ich Sie wiedersehen, schöne Frau?«

Das Blut schoss ihr in die Schläfen. Wofür hielt sie dieser
Mensch?

Da sie zu ihrem Manne zurückkehrte, lächelte sie wieder. Aber
nach einer kleinen Weile fragte sie bekümmert:

»Ob nur nicht am Ende der Willi krank werden wird? Er war
so still am Abend.«

»Ach was, Unsinn!« brummte Herr Friedhart gähnend.

Und wieder nach einer Weile schüttelte sie besorgt den Kopf:

»Wir hätten den Wagen auf früher bestellen sollen; ich habe
doch keine Ruhe!«

»Ja, und dann unterhältst du dich auch nicht!« ergänzte er mit
verbitterter Bosheit.

Sie schaute ihn an, stumm, mit Verachtung. Als ob sie hieher
gekommen wäre, sich zu unterhalten!

Dann wandte sie wieder ihre gespannte Aufmerksamkeit dem
Tanzen zu. Dabei bemerkte sie aber, dass die jungen Mädchen über
sie lachten, während die jungen Herren pflichtgemäss Bosheiten ersannen
in den langen, wortarmen Quadrillen. Da verlor sie zum erstenmale die
stolze Sicherheit, das blinde Selbstvertrauen der schönen Frau. Aber
gerade in diesen Augenblicken klammerte sie sich mehr denn je an
den Erfolg, an den Sieg. Und da war es nun kläglich anzuschauen,
wie ihre plötzlich gealterte Schönheit noch einmal in einem verzweifelten
Kampfe alle ihre Künste spielen liess, wie über ihre ängstlich ge-
spannten Züge das schalkhafte Lächeln ihrer ersten Mädchenjahre ging,
um, kaum entwickelt, verdrängt zu werden von dem reizenden Lächeln
ihrer letzten fünfzehn Jahre, das selbst wieder überhastet überging in
ein gesucht melancholisches Lächeln der reifen, der überreifen Schön-
heit. Und währenddessen zwang sie ihre grossen, schönen Augen bald
zu einem lächerlich sieghaften Leuchten, bald zu einem verführerischen,
zu einem träumerischen, zu einem sinnlichen Ausdruck. Und die Qualen
ihrer Seele kamen nur ab und zu zur Geltung in einem halbverheim-
lichten Zucken ihrer Mundwinkel, in einem unterdrückten Beben ihrer
kleinen Hand.

Und plötzlich wandte sie sich zu ihrem Manne. »Leo,« sagte sie
mit bebender Gleichgiltigkeit, »wir fahren nach Hause.«

»Ah!« sagte er satyrisch erstaunt.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 570, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0570.html)