Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 590

Die magische Vertiefung der modernen Naturwissenschaft (Du Prel, Dr. Carl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 590

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590 DU PREL.

Unsichtbaren ergibt ganz neue Beziehungen der Naturdinge, Sympathien
und Antipathien, wie schon im Mittelalter gelehrt wurde,1) Wechsel-
wirkungen des Inneren der Naturdinge und Lebewesen. Auf diesen
aber beruht die Magie.

Aber auch auf diesem Gebiete herrscht Gesetzmässigkeit, d. h.
die Magie ist nur unbekannte Naturwissenschaft, und die bekannten
Zweige der letzteren brauchen nur vertieft zu werden, um selber Magie
zu werden. Das hat sich sehr deutlich bei der Entdeckung der Röntgen-
Strahlen gezeigt. Eine magische Function, das Hellsehen, erhielt damit
eine physikalische Erklärung, hat sie übrigens bereits bei Reichenbach
erhalten. Magie ist eben kein Gegensatz zur Wissenschaft, sondern nur
die Vertiefung derselben.

Der Magnetismus nimmt unter den Naturkräften keine Ausnahms-
stellung ein. Wie das Licht beruht er nicht auf Emission, sondern
Undulation. Er kann in andere Naturkräfte übergehen und als Licht-
oder Bewegungsphänomen wahrnehmbar werden. Auf eine Oberfläche
fallend, bricht sich die odische Undulation nach den Gesetzen der Re-
flexion, indem der Einfallswinkel dem Reflexionswinkel gleich ist. Das
Od kann durch Linsen gesammelt werden; durch das Prisma wird es
zerstreut, so dass wir ein magnetisches Spectrum erhalten. Der General
Jauviac hat schon 1790 im »Journal des Savants« den Einfluss der
magnetischen Kraft des Menschen auf die Magnetnadel ausgeführt, und
seitdem ist derselbe wiederholt beobachtet worden. Die Somnambule
Kachler lenkte die Magnetnadel ab durch den hingehaltenen Finger,
den Blick, den Willen.2) Die Nadel eines Rheometers-Apparat zur Messung
eines elektrischen Stromes kann um 20 Grad abgelenkt werden durch
magnetisirtes Wasser, wenn die Platinspitzen der Leiter — Rheophoren —
in dieses Wasser getaucht werden. Eine Eisenstange kann animalisch
magnetisirt und durch Gegenstriche wieder neutral gemacht werden.3)
Wenn zwei Magnetiseure von verschiedenen Standorten aus gleich-
zeitig auf eine Person einwirken, so wird dieselbe in der Richtung der
Diagonale des Kräfteparallelogramms bewegt werden,4) und die drehende
Bewegung der Tische unter dem Einfluss einer Handkette ist nur die
Resultante der gekreuzten odischen Einflüsse, die als bewegende Kraft
auftreten. Es sind das nur beliebig herausgegriffene Beispiele zur Er-
läuterung der Gesetzmässigkeit in aller Magie.

Wenn das Od das letzte ist, worauf wir in der naturwissen-
schaftlichen Analyse des Menschen stossen, so ist damit freilich noch
nicht gesagt, dass es überhaupt das letzte Wort der Naturwissenschaft
ist. Es ist sehr wohl möglich, dass ausser der odischen Stadiation der
Dinge noch andere bestehen, und unter dieser Voraussetzung würde
sich sogar die unendliche Verschiedenheit der Dinge leichter erklären,
als wenn wir allen ein einziges homogenes Urprincip zugrunde legen.


1) Thattray: »Aditus novus ad occultas sympathiae et antipathiae causas«.

2) Mittheilungen aus dem Schlafleben der Somnambule Augusta K., 125.

3) Bourru et Burot: »La suggestion mentale«, 250.

4) Du Totet: »La magie dévoilée«, 87.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 590, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0590.html)