Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 591
Die magische Vertiefung der modernen Naturwissenschaft (Du Prel, Dr. Carl)
Text
Es ist also denkbar, dass Reichenbach unter dem Namen Od Dinge
zusammengeworfen hätte, die auseinandergehalten werden müssen; aber
jedenfalls liegt das Od um eine Stufe tiefer als die wahrnehmbaren
Qualitäten der Dinge, also ihrer Essenz näher, und es wird sich noch
herausstellen, dass die Naturdinge morphologisch und chemisch nicht
so verschieden wären, wenn sie nicht bereits odisch verschieden wären,
so dass z. B. schon in der Form der Pflanze die Signatur ihrer medi-
cinischen Eigenschaften liegt.
Im Alterthum und Mittelalter — bei Aristoteles, Plinius, Dios-
corides, Gahenus, Avicenna, Paracelsus — war es eine geläufige
Meinung, dass Gesteine, hauptsächlich Edelsteine, auf den Menschen
magisch wirken, dass sie auf die molecularen Bewegungen des Lebens-
processes Einfluss haben, gleichsam odische Ebben und Fluthen er-
zeugen. So drückt z. B. der Amethyst schon durch seinen Namen —
ἀμέϑυστος unberauscht — den Glauben der Alten aus, dass er bei
Gelagen uns nüchtern erhält.1) Von dieser magischen Physik ist man
gänzlich abgekommen; schwerlich dürfte aber Alles, was darüber ge-
schrieben wurde, in Bausch und Bogen zu verwerfen sein. Etwas besser
bekannt sind uns die Einwirkungen der Metalle auf den Menschen,
aber von einer bezüglichen Wissenschaft ist noch lange nicht die Rede,
und die Metallotherapie, die nicht leben und nicht sterben kann,
taucht zwar immer wieder auf, ohne aber bisher festgehalten worden
zu sein.
Um zu zeigen, dass leblose Substanzen auf den Menschen
magisch, d. h. odisch einwirken, müssen wir zwischen beiden solche
Beziehungen herstellen, wobei nur der eventuelle odische Einfluss sich
geltend machen kann, und wenn sich dabei ein constantes Verhältniss
je nach den chemischen Qualitäten herausstellen würde, so läge darin
ein Beweis, dass der Chemismus der Körper schon odisch bestimmt,
also schon secundärer Art ist. Ein Beispiel aus neuerer Zeit bieten
die Versuche über die Wirkung der Medicamente auf Entfernung, für
welche verschiedene Mediciner — Bourru, Burot, Luys, Dède, Chazarin,
Encausse, Dufour — eingetreten sind. Wenn ich deutsche Namen nicht
beifügen kann, so ist das nicht meine Schuld. Jene haben gefunden,
dass bei manchen Personen im hypnotischen Schlaf eine Gefühlssteige-
rung, eine Hyperästhesie für die Einwirkung von Medicamenten ein-
tritt, die ihnen äusserlich aufgelegt oder angenähert werden, und wobei
Zittern, Convulsionen und andere Symptome eintreten. Chloral, von
einer Hysterischen in der Hand gehalten, bewirkte Schlaf. Alkohol
macht trunken, und Ammoniak hebt diese Trunkenheit wieder auf.
Kirschwasser erzeugte bei einer Frau Trunkenheit und nach dem Er-
wachen hatte sie den Geschmack davon im Munde. Ein anderer
Patient, nach einem Versuch mit eingeschlossenem Chloroform, war nach
dem Erwachen von einem unausstehlichen Chloroformgeruch verfolgt.
Kampher, einem contrahirten Muskel genähert, hob die Contractur auf.
1) Heliodor: V., 13.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 591, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0591.html)