Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 593
Die magische Vertiefung der modernen Naturwissenschaft (Du Prel, Dr. Carl)
Text
Es liegt in der Natur der Sache, dass Entdeckungen, wie die der
Wirkung von Medicamenten auf Entfernung, nicht bloss von der Re-
flexion geschickter Experimentatoren geliefert werden können, sondern
auch von Versuchspersonen, welche vermöge ihres sensitiven Zustandes
solche Wirkungen an sich selber erfahren. Darum trifft es sich so häufig,
dass die mit dem odischen Sinn begabten Somnabulen ihren Magneti-
seuren Anleitungen geben, welche die Grundlage für solche neue Ent-
deckungen liefern. So ist es denn eine Somnambule, die — und zwar
schon 1821 — ihren Magnetiseur, Bende-Bendson, anleitet, die medi-
camentöse Fernwirkung anzuwenden. Es ist die Witwe Petersen, welche
ihm sagt: »Du brauchst nur das Glas mit dem Elixir das nächstemal
in die Herzgrube zu setzen, so wird dies sich gleich legen, und die
schweren Seufzer werden dann für immer ausbleiben.« Zum Erstaunen
des Magnetiseurs war der Erfolg überraschend, und von nun an trat
der Schlaf der Kranken äusserst leicht ein. Er hat auch bei anderen
Kranken den Versuch angestellt und sagt: »Wurde das Glas mit dem
Elixir einer der Kranken auf die Herzgrube gesetzt, so spürten sie im
Inneren eine ähnliche Wirkung, als nach dem Einnehmen der Tropfen
Als ich einst der zweiten Kranken auf ihr eigenes Verlangen im Schlafe
ein Glas Safrantinctur gegen die Herzgrube hielt, versicherte sie, es wirke
so heftig auf die Blutgefässe, dass sie es vor Schmerz kaum ertragen
könne. Der Madame Petersen setzte ich einst im magnetischen Schlafe
eine kleine Flasche mit Branntwein auf den Magen, wonach sie ebenso be-
rauscht ward, als ob sie wirklich den Branntwein getrunken hätte, was
sie auch sogleich angab, als sie die Wirkung in den Kopf steigen fühlte.«1)
Im Grunde genommen ist die Lehre von der medicamentösen
Fernwirkung auch noch in einer anderen älteren Entdeckung enthalten,
in dem vor etwa 40 Jahren angewendeten Pharmakomagnetismus des
Dr. Viancin. Dabei wurden die Medicamente in Glascylinder einge-
schlossen, mit welchen man den Patienten magnetisirte, oder die bei
der magnetischen Behandlung als Zwischenkörper verwendet wurden,
so dass der Magnetismus des Magnetiseurs sich mit dem des Medi-
camentes vereinigte. Schon früher hatte es Deleuze gesagt, dass der
animalische Magnetismus vielfach modificirt werden kann, je nach der
Substanz, durch welche hindurch er geleitet wird.2) Guyot hat einen
schwer zu überzeugenden Collegen dadurch schwer geschädigt, dass er
ihn durch Nux vomica hindurch magnetisirte. Mit Colchicum purgirte
er einen ganzen Krankensaal. Viancin heilte innerhalb 10 Tagen
chronische Meningitis eines Kindes, indem er es durch Laudanum
hindurch magnetisirte, wie Charpignon erzählt, der bereits darauf auf-
merksam macht, dass bei diesen Versuchen die Suggestion ausgeschaltet
wurde.3) Gromier, durch einen Tropfen Chloroform hindurch magneti-
sirend, erzielte augenblicklich Schlaf. Als er Chlorpillen in den Apparat
einstellte und hindurchblies, wurde der Patient achtmal in einer Nacht
1) Archiv für thierischen Magnetismus X, 1, 141, 142.
2) Deleuze: »Hist. critique du magn. animal«, I, 130.
3) Charpignon: »Physiologie du magn. animal«, 62.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 593, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0593.html)