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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 634

Text

CARL WILHELM DIEFENBACH.
Von Paul Wilhelm (Wien).

Seit wenigen Tagen weilt Diefenbach wieder in Wien. Nach
längerem Aufenthalte in Egypten kam der rastlose Mann — ein Ahasver
seiner weltverbessernden Sehnsucht — wieder hieher zurück, um seinen
mit Erbitterung gegen den Kunstverein geführten Kampf fortzusetzen.

Eine eigenthümliche Beharrlichkeit, die etwas von der Art eines
Michael Kohlhaas an sich hat, bei genauerer Prüfung aber nur die
nothwendige Folge von Diefenbach’s ganzem Wesen, seiner unbeugsamen,
alle seine Ziele bis ans Aeusserste verfolgenden Persönlichkeit ist.

Man mag über Diefenbach als Künstler und Mensch denken, wie
man will, eines wird man nicht leugnen können, dass er eine unge-
wöhnliche Erscheinung von seltenem Muthe und bewundernswerther
Energie ist.

Alle seine Handlungen, seine Emanationen, seien sie menschlicher
oder künstlerischer Natur, basiren auf einer subjectiven Weltanschauung,
die aus tiefen Erkenntnissen des Seins und des Seienden quillt und
— allerdings in der schroffsten Form — unseren gegenwärtigen Ver-
hältnissen, unserer heutigen Gesellschaft den Krieg erklärt.

Was aber Diefenbach vom Philosophen, dessen Namen man mit
Achtung nennen müsste, von einem eigenartigen Künstler, dessen Schaffen
eine Fülle reicher, selbstständiger Ideen umschliesst, zum verspotteten
Narren, zum Schwindler und weiss Gott wozu noch stempelte, war
ein Schritt, den er gethan, allerdings ein entscheidender — der Schritt
vom Gedanken zur That, von der idealen Forderung zur realen Be-
thätigung seiner Weltanschauung. Man zerlege sein Wesen, und man
wird zu dem Resultate kommen, dass seine Ideen, seien sie noch so
kühn und weitgehend, nicht einer tiefen philosophisch-ethischen Grund-
lage entbehren. Unsere jüngste Zeit, die eine Befreiung von der be-
lastenden, sich selbst verzehrenden Subjectivität des missverstandenen
Begriffes vom »Ich« und seinen Ambitionen sucht, sie, die in der
Rückkehr zu alten Culturen, der ästhetischen des Griechen- und der
ethischen des Christenthums, eine verjüngte lebenskräftige Wiedergeburt
der modernen Kunst erstrebt, wird Vieles in Diefenbach’s Ideenwelt
finden, das mit ihren Anschauungen und Erkenntnissen übereinstimmt.
Viele von unseren aus leisem, dämmerndem Empfinden emporkeimenden
Sehnsuchten sind in diesem seltsamen Manne bereits zu lodernder Be-
geisterung emporgeflammt und scheinen uns in ihm nur durch die Energie
des Ausdruckes und ihre tiefinneren Consequenzen entfremdet und
in die Ferne gerückt. Mit der Souveränetät des Selbstbewusstseins und
dem Sendungseifer der meisten Künder neuer Ideen, welche die Grund-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 634, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-16_n0634.html)