Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 667

Zur Charakteristik Stanislaw Przybyszewski’s (Neumann, Alfred)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 667

Text

ZUR CHARAKTERISTIK STAN. PRZYBYSZEWSKI’S. 667

geschrieben sind. Traum und Vision verfliessen mit der Wirklichkeit
zu Einem. Das Wirkliche ist nur unklar zu erkennen, es tritt voll-
kommen zurück, um nur das Leben der Seele in gewissen Momenten,
ganz unverschleiert zu zeigen. Vollkommen gleichgiltig wurde das, was
geschehen ist, nur die Reaction der Seele auf dies zum Theile
unbekannte Erlebniss ist geblieben. Diese Gattung Poesie ist so fremd,
so unklar, dass sie auch völlig missverstanden wurde. Man suchte nach
Handlung und fand nur eine entfesselte Gefühlsorgie, mau suchte nach
klarer, logischer Auseinandersetzung und fand das schwer zu ent-
räthselnde wirkliche Bild der leidenden Seele, worin ein Traum den
andern ablöst, und hie und da nur fand man ein paar intervalla lucida,
die ahnen lassen, was vorgegangen ist.«

Hier komme auch Przybyszewski’s Fieberproblem zur Sprache.
»Man hat geglaubt, dass es mir um Fiebererscheinungen zu thun ist.
Durchaus nicht; ich habe bloss die Seele in dem Momente wieder-
zugeben gesucht, in der sie alle Formen ins Riesenhafte gesteigert,
ins Grosse ausgewachsen sieht. Ich speie auf den normalen Menschen
des ekelhaft philiströsen Dichters; denn mir ist um den Menschen zu
thun, vor dessen Auge das Leben in seiner furchtbaren Ganzheit vor-
überströmt, dem sich die alltägliche Wirklichkeit plötzlich in ihrem
Urgrunde öffnet und dem sie ihre schauerlichen Geheimnisse gezeigt.
Ich glaube, Maeterlinck hat das prachtvolle Wort gesagt: »Et tout est
effrayant, lorsqu’on y songe,« und die Menschen, die ich dargestellt habe,
sahen nur immer das »Effrayante«. Für mich ist das Fieber nur die
gesteigerte Ekstase des Gefühlslebens, die Himmel- und Höllenfahrt der
Seele, für mich ist das Fieber, was für den mittelalterlichen Menschen
die Verzückung war, ein Mittel zum Zweck. Dort ein sehr egoistisches
Mittel, um ein paar Stunden mit Gott oder Satan zu verleben, bei
mir ein verzweifeltes Mittel, um meinen theueren Mitbrüdern in Christo
zu zeigen, dass die Welt noch etwas Anderes ist als ein fashionables
B.....l, gutes Mittagessen, Geldsorgen und Carrière. Ich wollte auch
zeigen, dass die Liebe denn doch mehr ist als das, wofür sie das
Durchschnittsthier hält, dass sie der Mutterschoss und der Golfstrom,
die Wurzel und die Sonne des ganzen Lebens ist.

Eigentlich wollte ich nichts zeigen, ich schrieb und dichtete und
blutete die Welt aus, wie ich sie empfunden, geschaut, schmerzhaft
durchlitten habe.

C’est cela «

Man lese die Vorrede zur »Todtenmesse«, man lese »Pro domo
mea«, man lese vor Allem »Auf den Wegen der Seele«, dort findet
man Przybyszewski’s Worte mehr als bestätigt.

»Die Kunst scheint für mich etwas Anderes zu sein als für alle
Anderen, denn ich hasse die Wirklichkeitsschilderer; ich hasse die
endlose Beschreibung von Möbeln, von der Schönheit der Helden und
Heldinnen, kurz gesagt, ich hasse jede Beschreibung des Wirklichen.

Ich hasse die sogenannten »reinen Künstler«, die ferne von
allem Leben ihre aufconstruirte, mühsam aus schwächlichen Gefühls-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 17, S. 667, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-17_n0667.html)