Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 18, S. 697
Eine Berliner Theatersaison (Engel, Fritz)
Text
wir mathematisch als bewundernswerth erweisen können. Wer uns so
sprechen hörte beim Diner-Essen, beim Schlittschuhlaufen, beim Radeln,
der musste meinen, die »Versunkene« sei die schlimmste Missgeburt
der Zeit. Und wir Nämlichen gingen dann ins »Deutsche Theater« und
liessen uns mild bezaubern von den Reizen des Werkes. Wie von
Mondenschein liessen wir Grundblasirten uns überrieseln von dieser
schimmernd schönen Lyrik und, die wir so viel unter dichtenden
Deutschen leiden, wir sahen wieder einen deutschen Dichter. Ja, es
war ein Triumph der deutschen Romantik auf der Bühne des Herrn
Otto Brahm, die sich dem Naturalismus für immer angelobt hatte, ein
Sieg dieser Bühne gegen sich selbst. Und dann gingen wir sinnend
und wohlig beklommen aus dem Theater und athmeten ein paarmal
auf und mäkelten dann wieder ein bischen. Und das ist gut so. Wir
wollen, ungleich seinen blinden Anbetern, den jungen Begnadeten, den
Gerhart Hauptmann, nicht krönen, ehe er nicht die Majorennität des
Dichters erreicht hat, die sich nach einer grösseren Zahl von Werken
berechnen muss. Wir wollen ihn noch nicht Führer und Lehrer nennen
und ihn noch nicht zum Gevatter für die Kunst der ganzen Epoche
bitten. Er selbst soll sich gross machen, nicht wir wollen es.
Das »Deutsche Theater« stand also an der Spitze. Und zwar so
sehr, dass hinter ihm noch lange nichts kommt und dann auch noch
nicht das »Königliche Schauspielhaus«, das sein Rivale, ja das sein
Sieger sein müsste. Das »Deutsche Theater« hatte auch das andere
Edelwild, Herrn Hermann Sudermann, eingefangen. Es hatte ihm
bei Blumenthal im Lessing-Theater nicht mehr gefallen, vielleicht
weil er dort nicht mehr so gefiel, vielleicht auch, was von seinen
Officiösen mit einiger Berechtigung angegeben wurde, weil er dort nicht
die genügende Besetzung hatte. Er ging also zu Brahm und hatte mit
seinen »Morituri« einen mächtigen Erfolg. Und warum auch nicht? Es
sind drei Stücke, die man gute Stücke nennen kann. Diesen und jenen
Einwand zugegeben, »Teja« und »Fritzchen« und »Das ewig Weibliche«
sind doch Zeugnisse einer gesunden, kernigen und vielseitigen Be-
gabung. Er ist ein grosser Könner, der Autor der programmatisch ge-
wordenen »Ehre«. Es ziert ihn auch, dass er nicht bitter und verdriesslich
wird, weil Hauptmann ihm übergekommen ist. Der Teufel auch, das
ist nicht angenehm, immer verglichen und nie vorgezogen zu werden.
»Ja, aber erst der Hauptmann,« tönt es ihm überall entgegen. Wenn
man ihm dereinst, was wir ihm gönnen, ein Denkmal setzt, wird selbst
der Festredner sagen müssen; »Ja, aber erst der Hauptmann!«
Und dann hatten wir im »Deutschen Theater« neben dem schnell
verhallten Ibsen, der als »John Gabriel Borkman« kam, noch einen
Erfolg. Einen Fulda-Erfolg, das ist ein Erfolg besonderer Art. Man
kann sagen, Fulda hat hier seinen Erfolg immer vor der Première.
Seine freundliche Art, sein froh flackernder Humor, die Glätte seiner
Verse haben ihn in die Popularität eingeschmeichelt. Jeder hat ihn
gerne, jeder schmunzelt, wann er an ihn denkt, jeder ist neugierig,
wenn Fulda mit Neuem auf dem Zettel steht. Und merkwürdig, die
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 18, S. 697, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-18_n0697.html)