Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 718

Die zwei Frauen des Bürgers von Brügge (Barrès, Maurice)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 718

Text

718 BARRÉS.

Pracht ihre wollüstige Anmuth noch erhöhte; und so wurde die Schwer-
muth des jungen Mannes, welche bis dahin etwas von mürrischer Laune
an sich gehabt hatte, nun eine trunkene Traurigkeit.

Als sie ihre Hilfsmittel bis auf ihre Kleinodien verthan hatten,
bat sie der Flamänder, für welchen die Vorstellung davon, dass sie
eines Tages fern von ihm alt und bedauernswerth sein könnte, uner-
träglich war, er bat sie, ihn nach Flandern zu begleiten, wo sie den
Ueberfluss finden würden.

Chlorinde hatte zur selben Zeit, als sie ihren theuren Barbaren
gelehrt hatte, an allen schönen Dingen Freude zu finden, selbst verlernt,
diese zu lieben, und nur er allein war es, von dem getrennt zu sein
ihr niemals möglich gewesen wäre. So nahm sie denn diese schwere
Verbannung an. Allein in dem Masse, als sie weiter kamen, wurden
sie Beide immer trauriger, denn die Natur wurde ärmer, und sie gingen
der Heimat des Winters entgegen.

Als sie Brügge erblickten, da verstand Eines und das Andere,
dass sie, sowie sie diesen letzten Zwischenraum zurücklegen würden,
einen Theil ihres Lebens abschlössen, welcher ihre Jugend gewesen war.
Die Flur war von Sonnenschein übereist, einem Mittags-Sonnenschein,
der vom grauesten Himmel niederfiel; das Herz der Fremden zog sich
zusammen, denn sie fürchtete, dass er sie weniger liebe als seine rechte
Ehefrau, und dass er sie fortschicken würde. Er hinwieder, als er die
ersten Bilder wiedersah, die seine Kinderaugen erfüllt hatten, wurde
weich bei dem Gedanken, dass er einmal werde sterben müssen.

So kamen sie bis zum Quai du Rosaire und lehnten sich über
am kleinen Teich, welcher die niederen, hier und dort ockergelb gefärbten
Ziegelhäuser bespült. Sein Fieberduft erinnerte sie an das Paradies von
Venedig. Sie schauten auf diesen schwermüthigen, von altem Moosgestein
umfassten Wasserspiegel nieder, und ihre Gedanken flössen mit diesen
kalten Fluthen dahin, sich mit ihnen unter dem dunklen Gewölbe ver-
lierend. Der Himmel lag so nahe über allen diesen seltsam ausgezackten
Dächern, dass der Glockenthurm der Frauenkirche ihn zu berühren
schien. Damals schob wohl, so wie heute, die Schenke de la Vache ihre
zierliche und bescheidene, auf Säulchen ruhende Terrasse über das
Wasser hinaus und vielleicht auch ebenso, wie ich es gehört habe,
spielte man auf dem kleinen Fischmarkt eine traurige Musik. — Der
Pilger wendete sich zu seiner Gefährtin, die bebend dastand, und
sagte ihr:

»Da ich mit Euch zu diesem Ort zurückkehre, von wo ich fort-
gezogen bin, ehe ich Euch kannte, will ich Euch, meine Freundin, aus
der Tiefe meiner Seele sagen, wie viele schöne Dinge ich Euch ver-
danke. Ihr wäret sehr gütig für mich, der ich ein wahrer Wilder
gewesen bin, und ich fühle Euch gegenüber eine sehr grosse Dank-
barkeit.«

Sie wurde so bewegt, dass sie, die immer sehr fein Alles bemerkte,
dem etwas Weniges vom Lächerlichen anhaftete, die Augen voll Thränen
hatte und ihm antwortete:

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 718, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-19_n0718.html)