Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 735
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Monarch sich auch als Titularherrscher geberdete. Cromwell, dem noch
Mommsen gelegentlich seiner Charakteristik Cäsars deshalb würdevolle
Mässigung zuspricht, durfte auf den Königstitel verzichten, weil die
insulare Isolirung keinen engen Zusammenhang mit dem europäischen
Staatenconcert benöthigte, und konnte zudem nicht den puritanischen
Aberglauben verletzen, der einer Wiederaufrichtung des »heidnischen«
Königthums im Wege stand. Er war also nur ein zwangsweiser Absti-
nenzler. Ebenso machte Friedrich der Grosse nur aus der Noth eine
Tugend, wenn er nicht Napoleons Erobererlaufbahn beschritt. Er hätte
am liebsten ausser Schlesien auch noch Sachsen, Mecklenburg, Böhmen
und Polen annectirt. »Siegte ich bei Kolin, ich hätte auf Wiens Wällen
den Frieden dictirt,« bekannte er ehrlich. Mässigung ist Mittelmässig-
keit. Wie alle grossen Feldherren ihre Niederlagen masslosem Starrsinn
und Verachtung des Gegners verdanken, so auch ihre Triumphe ihrer
masslosen Ausbeutung jedes Erfolges. »Plus — ultra!« rief Carl V., ob
auch an der Klosterpforte sein ungemessener Lauf geendigt. Alle Impe-
ratorengeister sind auf einem Strauch gewachsen, nur brechen sich fast
alle an den Schranken der Materie, und diese zu überspringen durfte
nur Einer drohen: der corsische Märchenträumer, der methodische
Zimmermann eines Zauberpalastes wie aus Tausend und einer Nacht.
Ihm war erst wohl, als sein Söhnchen König von Rom und er selber
Padischah des »Grossen Reiches« hiess, als ihm in den Kuppeln Moskaus
das fabelhafte Indien entgegenflimmerte. Attilafahrt oder Alexanderzug?
Immer verbrämt man ja den Willen zur Macht mit weltgeschichtlichen
Ideen, und thatsächlich flossen hier subjectiver Drang und objectives
Bedürfniss in einander über. Nach dem Frieden von Amiens schrieb der
englische Gesandte nach Haus, dass man den neuen Gewalthaber am
sichersten durch den Frieden ruiniren könne. Man wollte einfach ab-
warten, um dann wieder gemeinsam über den gekrönten Plebejer her-
zufallen, dessen revolutionäre Moderne der Menschheit heiligste Güter
bedrohte. Wenn also schon der erste Consul sich im Privatgespräch
aufknöpfte, er sehe nur ein Mittel, sich gegen Europa zu halten, den
Krieg, so kam er nur den gegnerischen Massnahmen zuvor. Deshalb
durfte sich der Mann von St. Helena als majestätischen Friedensfürsten
malen, den man durch Attentate auf seine Ruhe zwang, sein gutes
Schwert zu ziehen. Wer aber in ihm den Soldatenkaiser sieht, verkennt
die historische Wahrheit. Nicht als Soldat ist dieser Mann »durch den
Willen der Nation« gekrönt worden, man hatte schon lange das Krieg-
spielen satt und versah sich von ihm lediglich socialer Herculesarbeiten.
Auf Beglaubigung seines Ordnungsgenies, das alle damals lebensfähigen
Errungenschaften der Revolution in feste Formen goss, hob man ihn
auf den Schild. Er war der gekrönte Staatsmann. Allerdings hatte sich
in endlosen Feldzügen eine Kriegerkaste gebildet, die sich, wie Curély’s
Memoiren es treffend ausdrücken, am liebsten mit ganz Europa ge-
schlagen hätte. Ihr Vertrauensmann, der kleine Corporal, entsprach
ihrem tiefgefühlten Bedürfniss durch Adler und Orden. Von seinem
einsam Vor-, Mit- und Nachwelt überragenden Kriegsgenie hatten jedoch
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 735, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-19_n0735.html)