Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 738

Die »Centenarfeier« des Grössten (Bleibtreu, Carl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 738

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738 BLEIBTREU.

land erkauft«. Bonaparte ist ein treuer Katholik, der schon ferne sein
Concordat wittert, und Rom ahnte ihn; deshalb darf der künftige
Wiederhersteller der Kirche, der dem Volke die Religion erhalten
wissen will, auch gemüthlich mit aller Ehrfurcht sämmtliche Legationen
des heiligen Stuhls (Romagna) als Pfand behalten. Derlei kleine Ge-
schenke erhalten die Freundschaft, und was macht es Rom, dass später
der nämliche treue Katholik im Orient sich als Abgesandter Mohammed’s
vorstellt? So wirthschaftet der harmlose Jüngling rüstig weiter, und
des alten Rom »Divide et impera!» kann noch etwas von ihm lernen,
wie er mit teuflischer Arglist im Frieden von Campo Formio und
später von Luneville Italien und Deutschland vollends spaltet und ent-
waffnet behufs späterer Verspeisung, und Oesterreich durch Danaer-
geschenke anrüchig macht. Später bildet er das löbliche System der
Revolution, aus fremder Leute Tasche zu leben, classisch aus, indem
er seine Armeecorps als Kuckuckseier in fremder Leute Nester legt »zu
Occupationszwecken«, und sein protectorales »Bündniss« von Contri-
butionen der Clienten mästen lässt. Aber aufgemerkt: indem er zum
Beispiel die Schweiz zu ihrer patriarchalischen Armuth zurückführt und
den Berner Staatsschatz räubert, gibt er ihr zugleich die beste Ver-
fassung, einigt sie und legt den Keim ihrer heutigen Wohlfahrt, wes-
halb die Schweizer heute noch sein Andenken segnen. Dem freien
Schweizer Bergland will der freie corsische Bergsohn überhaupt wohl;
als er 1797 durchreiste, entzückte ihn die »natürliche Musik des Alpen-
rohrs« wie Byron, und er wünschte, ein Schweizer zu sein. Ebenso
liebte er Italien, obschon er das in Knechtschaft entartete Volk ver-
achtete, und gab ihm eine Einheit, ohne welche die heutige »Italia
unita« nie erstanden wäre, weshalb dann auch die Italiener seine an-
hänglichsten Getreuen blieben. »Napoleone« ist der einzige historische
Name, den jedes Kind Italiens kennt; »Marengo« heisst heute noch
im Norden das Goldstück. Auch an Spanien und Portugal spendete
schon der erste Consul Wohlthaten, indem er sogenannte Hilfscorps
»zu Occupationszwecken« dort herumwandern liess, um vor Englands
Bosheit zu schützen. Diese theuere Freundschaft kam freilich auf die
Dauer so theuer zu stehen, dass das Madrider Cabinet schon 1806
heimlich gegen seinen lieben Protector losschlagen wollte, als »Jena«
wie ein Donnerschlag dem Vorhaben ein Ende machte. Solcher Undank
für ausgesuchte Wohlthaten musste gezüchtigt werden, aber nur nichts
überhasten! Denn wie Er im Frühjahr 1805 an seinen Wiener Gesandten
schrieb: »Ungestüm führt nicht zum Ziele. Ich mache es wie die
dramatischen Dichter, die Schritt für Schritt den Knoten schürzen.« Die
Unterwerfung Spaniens — »aber das spanische Abenteuer!« dachten
vielleicht einige Leser, als wir früher die thatsächliche Nöthigung Napoleons
zu seinen Eroberungszügen vertheidigten — schwebte also schon 1803
dem ersten Consul vor. Und hier sieht man wieder, wie unverständig
man Napoleons Politik beurtheilt. »Jetzt gibt es keine Pyrenäengänge
mehr!« rief schon Ludwig XIV., und die Abhängigkeit der iberischen
Halbinsel vom romanischen Führerstaat möchten die Franzosen auch

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 738, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-19_n0738.html)