Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 743

Leo Taxil und seine Puppen (Panizza, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 743

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LEO TAXIL UND SEINE PUPPEN. 743

nehmungen. Ich selbst besuchte im Jahre 1881 die Verkaufslocalitäten
seines Verlages, die in der rue des Écoles no. 26 waren, und erwarb
die culturhistorisch wichtigsten seiner Schriften. Schon die Titel dieser
Bücher zeigen, inwieweit ein freies Volk seine freien Gesetze auszu-
nützen vermag. Hier einige derselben: »Le fils du Jésuite, grand roman
anticlérical par Léo Taxil, préface par le général Garibaldi. Frcs. 5.«
— »La religion du crime, grand roman anticlérical par Léo Taxil et
Paul Foucher, édition de luxe, magnifiques illustrations. Frcs. 5.« — »Les
maîtresses du pape, grand roman historique par Léo Taxil et Carl Milo,
dessins de Méjanel.« — »Les amours secrètes de Pie IX, révélations sur
la vie de ce pontife, par C. S. Volpi, ancien camérier des papes
Grégoire XVI et de Pie IX. Impression soignée. Superbes dessins de
Méjanel. Beau papier.« — »La vie de Jésus, parodie instructive et
satirique des évangiles, par Léo Taxil. Pris de 500 dessins comiques par
Pépin. Frcs. 5.« — »La Bible amusante, pour les grands et les petits
enfants, par Léo Taxil, dessins par Frid ’Rick. Frcs. 10.«
— Das
letztere Werk ist die stärkste Blasphemie, die ich kenne. Nur Jemand,
der jenseits von Gut und Böse fest auf seinen Füssen steht, wird es
geniessen können, wird es registriren, wie der Culturhistoriker neben
den genialen Schandstücken eines Aretino die süsseste Madonna von
Perugino registrirt. Ich möchte aber gerne einige Damen aus der
Wiener Hofburg oder einen felsenfesten Orthodoxen aus Leipzig, etwa
den Professor Luthardt, vor diese Bilder führen, ob sie nicht zuckten,
ob sie fähig wären, frei den Stift des Künstlers zu bemessen.

Und doch finden sich in dem Taxil’schen Verlag auch Werke
von grosser Tüchtigkeit, von grossem geschichtlichen Interesse. Da ist
einmal: »Napoléon dernier, collection complète des soixante-quinze ‚Lan-
ternes’ publiées sous l’Empire par Henri Rochefort. Dessins de Gill,
Méjanel, Demare, Frid Rick et Sapeck. Réimpression définitive de cet
ouvrage à jamais célèbre. 3 vols. Frcs. 12.«
Dann das Werk des kühnen
Freidenkers Jean Meslier, der, lange vor Voltaire als armer Priester auf
seiner weltabgelegenen Pfarre Etrépigny, im Besitz von fünf oder
sechs guten Büchern, sich zu einem schrankenlos atheistischen System
durchrang, vor dessen Grösse selbst Voltaire erschrak: »Ich habe ge-
schaudert vor Entsetzen, da ich es las; das Zeugniss eines Pfarrers,
der im Sterben Verzeihung von Gott dafür erbittet, dass er das
Christenthum gelehrt hat«, und es nicht ohne Kürzungen zu veröffent-
lichen wagte. Das Werk, welches fast nie ohne Auslassungen gedruckt
worden und enorm im Preis gestiegen war, hat Taxil neu in drei
Bänden »Oeuvres du curé Meslier« herausgegeben: premier volume: »Le
bon sens«; second volume: »Ce que sont les prêtres«; troisième volume: »La
religion naturelle«. 3 Frcs.
Auch die »Livres secrets des confesseurs, dé-
voilés aux pères de famille«, Paris 1883,
der wörtliche Abdruck der ge-
heimen Beichtinstructionen in den verschiedenen französischen Diecösen, aus
denen der systematische Unterricht über Unsittlichkeiten bei Kindern im
zartesten Alter, die Aufklärung über Unsittlichkeiten bei Kindern, um
diese Kinder zum Beichten zu vermögen, hervorging — ein Ding, das

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 19, S. 743, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-19_n0743.html)