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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 775

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DIE »CENTENARFEIER« DES GRÖSSTEN. 775

so manche edle Handlung der Generosität von ihm kennen, so werden
wir über solche Scherze wie über die fingirte Grossmuthskomödie mit
der Fürstin Hatzfeld in Berlin geduldiger weggehen. Klappern gehört
zum Handwerk, welcher Staatsmann und Herrscher wüsste sich frei
davon! Viel bedeutsamer scheint es uns, dass wir ihn von jenem häss-
lichen Zug gallischer Eitelkeit frei finden, immer nur für Franzosen die Gloire
zu pachten. So nennt sein Bulletin über die Beresina Schlacht ausdrücklich
die deutsche Brigade Fournier, während in französischen Historien ab-
sichtlich nur das 7. französische Kürassier-Regiment genannt wird.

Dass die laxe Disciplin der Napoleonischen Legionen sehr über-
trieben angeschwärzt ward, gibt auch Lettow-Vorbeck, I., 75, und II., 385,
zu. Auch setzte er selbst den geringeren Generalen so enorme Dota-
tionen aus, dass sie es nicht nöthig hatten, zu stehlen. So erhielt (nach
französischen Quellen) Lasalle 50.000, Grouchy 54.000, Reille 60.000,
Sebastiani 120.000 Francs Rente, Duroc gar 280.000. Allerdings wurden
z. B. in Berlin alle öffentlichen Cassen belegt, um den Truppen eine
ausserordentliche Gratification zukommen zu lassen. Dafür wurde aber
sonst auf Ehre und Anstand gesehen, und durchaus unaffectirt klang
Napoleons Schmerzensschrei nach der Capitulation von Baylen: »Die
Generale capituliren, weil sie geraubte Kirchengefässe nicht im Stich
lassen wollen! All mein Blut möcht’ ich verströmen, um diese Schande
abzuwaschen.« Es ist ferner wohl wahr, dass er oft jeder Selbstzucht
spottete, vor der spröden Walewska seine Uhr zerschmiss, wie vor
dem österreichischen Unterhändler Kobenzl 1797 die bekannte Por-
zellanvase, beides um einzuschüchtern. Aber derselbe Choleriker ertrug
es im Zenith unwirschen Cäsarenwahns geduldig, dass ein Oberst, dem
man widerrechtlich sein Regiment genommen, aufs Keckste opponirte
und gab ihm sofort ein anderes Regiment. (Memoiren von St. Chamand
1895.) Seine gewaltige Zornrede an das 4. Regiment, das bei Austerlitz
seinen Adler verlor, trieb den Zuhörern »den kalten Schweiss aus«.
Aber als Lieutenant Parquin ihn im Tuilerienhof förmlich anfällt, weil
er für so viel Verdienste noch das Ehrenkreuz nicht habe, sagt der
Kaiser gelassen: »So bringe ich’s dir selbst. Ich will nicht, dass solch
ein Braver mir länger creditirt

Fassen wir endlich Alles zusammen, was wir über den Gewaltigen
denken, so summirt es sich in seinen Worten: »Ja, ich wollte die Welt-
herrschaft, und wer an meiner Stelle hätte sie nicht gewollt!« und
zum andernmale: »Die Welt bedarf meiner, nicht ich der Welt

Selbst ein denkender Gelehrter wie Gregorovius sieht sich be-
müssigt, in einer Studie über Elba zu betonen, wie sehr es das moderne
Gefühl verletze, dass immer nur von der »Armee« in Napoleons da-
maligen Proclamationen die Rede sei. Da berührt es dann wohlthuend,
dass in der belletristischen Beilage des socialistischen Centralorganes
»Vorwärts« zu einem Napoleon-Gemälde von Bleibtreu ein Text geliefert
wurde, der durchaus treffend und geistreich den völligen Unterschied
des corsischen Weltumwälzers von anderen Tyrannen und Handlangern
in Blut und Eisen betonte. Ob Napoleon jenen Fortschritt verkannte,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 775, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0775.html)