Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 786

Maurice Maeterlinck (Bornstein, Dr. Paul)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 786

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786 BORNSTEIN.

schied zwischen der rein äusserlichen Symbolik in »Princesse Maleine«
und der wundervollen Symbolik des Todes in »L’Intruse«, dieser viel-
leicht bedeutsamsten Schöpfung unseres Poeten.

Ich kenne einen Carton Sascha Schneider’s: ein Mann, nackt, ge-
senkten Hauptes, mit ehernen Ketten an die Scholle geschmiedet,
während vom Horizont herüber die düsterglühenden Augen eines fabel-
haften Ungethümes ihn anstarren — das Schicksal wachend über seinem
Opfer. Da haben wir eine Illustration des Menschen bei Maeterlinck. »Fey«
nennen, so erzählt unser Poet, die schottischen Bauern den Zustand
eines Menschen, der trotz inneren Widerstrebens, trotz Rathes und
Ahnung willenlos einer unabwendbaren Katastrophe entgegengeht. »Fey«
sind ausnahmslos seine eigenen Gestalten, Marionetten, deren Drähte in
einer transcendenten Faust zusammenlaufen. Vom Finger des Todes
gezeichnet, haben sie alle etwas Morbides, etwas Uebersinnliches; das
Fleisch hat keine Rechte an sie. Ihr Empfindungsleben ist, wie das
ihres Schöpfers, so verfeinert, dass es auf leiseste Reize schon schmerz-
haft reagirt. Schattenhaft und merkwürdig unplastisch — es fehlt eben
die ganze körperlich-sinnliche Sphäre — erscheinen sie wie Wesen aus
einer anderen Dimension, die ihre eigenen Gesetze haben. Sie sind
hochgradig undramatisch; im Lichte unserer Bühne würden sie Duft
und Schmelz sofort verlieren. Aber was ihre dramatische Schwäche
ausmacht, verleiht ihnen den wundersam lyrischen, magischen Reiz.
Und es liegt ein unsagbar melancholischer Reiz über diesen wandelnden
Seelen, die schleierlos und nackt im Wahne der Unendlichkeit schreiten,
die schön sind bis in ihre mystischen Tiefen. Schuldlos in ihrer Schuld,
sind sie nicht frei von Schuldbewusstsein; es ist als läge der Bann der
Erbsünde auf ihnen, denn das bewusst Böse hat keine Stätte, wo sie
wandeln. Ein unendlich müdes Lächeln der Resignation um die bleichen
Lippen, und in den Tiefen ihrer Augen ein leidendes Wissen um ihr
Los, so geben sie sich dem Fatum hin; kaum dass Zuckungen des
Widerstandes ihren Leib schütteln. Weiss in weissem Lichte, heben sie
sich ab von dem dunklen Hintergrunde. Weiss und schwarz, wer sie
malen wollte, für den wären das die einzigen Farben, dazu die innigen,
schlichten Linien des Botticelli.

Hat man beachtet, dass besonders Maeterlinck’s Frauengestalten
so wirksam sind? Maleine, Aglavaine, Silysette, Mélisande, wie viel
sympathischer muthen sie uns an als ihre männlichen Partner. Mit gutem
Grunde! An schattenhaften Männern haben wir keine rechte Freude.
Maeterlinck’s männliche Gestalten schreien förmlich nach Fleisch und
Blut, nach Leidenschaft und Kraft. Was müde Entsagung, demüthige
Ergebung! Si fractus illabatur orbis Kämpfend soll der Mann unter-
liegen, kämpfend auch gegen das Unvermeidliche. Die weissen, vornehmen
Frauenhände unseres Poeten zittern in fiebriger Ohnmacht, wenn es gilt,
Männer zu gestalten. Daher seine Vorliebe für das Weib, das fein-
nerviger ist, mehr nach innen lebt, der Natur und dem Unbewussten

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 20, S. 786, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-20_n0786.html)