Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 798
Text
Ja, es waren sogar Aehnlichkeiten da, starke, merkwürdige Aehnlich-
keiten. Es war eben sein Geschmack: dieselbe Sanftheit, dieselbe Wild-
heit: je nach Laune und Zeit. Dasselbe Parfüm bewusster Weiblichkeit.
Es war Alles — ganz curios — genau so in dieser Liebe.
Und würde sie wieder so enden?
Rolf dachte einen Augenblick daran. Aber der Gedanke machte
ihn toll. Sollte es immer der gleiche Kreislauf sein?
Er hatte Dora wohl länger als ein halbes Jahr nicht gesehen. Er
glaubte schon Alles aus, als ihr Brief kam. Sie wollte ihn noch einmal
sehen, ihn noch einmal sprechen »Nicht etwa, um sein Herz zu
rühren, dazu kenne er sie wohl zu gut. Dazu sei sie zu stolz. Sondern
um wie zwei vernünftige Menschen zu plaudern, es interessire sie, zu
erfahren, wie das eigentlich so gekommen sei, Wenn er also zufällig
diesen Sommer nach Wien käme: sie sei in Ischl.»
Und Rolf interessirte es ebenso, darum fuhr er zu ihr. Ausserdem,
er war ein Cavalier. Er gehorchte einer Dame. Nein, wirklich, er war
es ihr schuldig. Und
Trotz Trude zitterten in seinem Ohre noch ihre leisen Lieb-
kosungen, fühlte er in seinen Armen das wonnige, bebende Glück.
Nein, er konnte es ihr nicht abschlagen. Und er hatte keine Furcht,
dass — o bewahre! Er hatte keine Furcht. Er kannte sich.
Denn er war ja von den Liebhabern der alten Generation, er
hatte noch die Treue. Und er liebte Trude wie einst Dora. Er würde
ihr also nicht einmal mit Dora untreu werden. Für ihn war die Liebe
noch Selbstzweck, sie erfüllte sein Leben, sie war sein Cultus. Keine
Spielerei, kein Zeitvertreib, nichts Flüchtiges, sondern ernste Daseins-
aufgabe. Er war eben eine ernsthafte Individualität.
Da sass er denn Dora gegenüber. Er war noch gleich am Abend
zu ihr gegangen.
Durch den rothen Schleier auf der kleinen Lampe kam spärlich
mattes Licht. Sie sassen lange schweigend da. Sie auf dem Sopha, er
in einem Fauteuil in dem langweilig möblirten Zimmer.
Schweigen, langes, erwartungsvolles Schweigen.
Dann fühlte er sich doch ein bischen genirt und suchte nach
einigen allgemeinen Redewendungen. Sie aber blieb ernst und stumm.
» Weisst du noch, Dora, wie ich es damals nicht begreifen
konnte, wie du und Er, wie ihr euch damals getrennt habt? Wie ich
nach Gründen fragte und forschte? Wie ich mich nicht dabei beruhigen
wollte? Aber jetzt sehe ich, unsere unerbittlichste Feindin, das
ist die Zeit, sie macht Alles todt Ihr wart euch damals selisch
entfremdet und darum gingt ihr auseinander, so wie —«
»So wie wir,« ergänzte sie. »Musste es sein, Rolf?«
»Das hab’ ich mich auch oft gefragt, Dora. Aber ich weiss keinen
andern Grund, wenn das einer ist «
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 21, S. 798, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-21_n0798.html)